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Warum ich nicht zu den Piraten gehe
105Ursprünglich veröffentlicht am 3.07.09
- Bundestagswahlprogramm (Vorschlag)
In den letzten Tagen fragen mich viele, wann ich bei der Piratenpartei eintrete. In diesem Artikel beschreibe ich meine Gründe, warum ich das nicht tun werde.
Zu Allererst: Ich finde es gut, dass es die Piraten gibt und dass eine starke Stimme für Netzpolitik hinzugekommen ist. Die Forderungen in der Netzpolitik sind recht fundiert und die Partei hat einen lustigen Namen. Viele der Mitglieder sind sympathisch und ich habe mit einigen zusammen schon demonstriert und Plakate gemalt.
Die Forderungen, die die Piratenpartei aufstellt, stellen die Grünen seit vielen Jahren auf. In den 90er Jahren war Manuel Kieper technologiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, bereits damals wurde das Thema Freie Kultur somit von der grünen Bundestagsfraktion bearbeitet. Im Jahr 2000 beschloss der Länderrat das Papier “Informationsgesellschaft – greenIT” bzw. “Freie Software für alle”. In allen grünen Wahlprogrammen kam das Thema zur Sprache. Die Grüne Jugend hat seit 1999 ein “Fachforum Medien”, 2004 war das Thema Freie Kultur zentrales Kampagnenthema für die Europawahl – die Kampagne hieß “Copy4Freedom” und kann unter der angegebenen URL heute noch angesehen werden.
Es gibt viele Leute bei den Grünen, die kompetent zum Thema Netzpolitik arbeiten. Es gibt bei den Grünen aber auch viele andere Menschen, die zu anderen Themen arbeiten. Und das ist für mich ein wesentlicher Unterschied: Ich möchte gerne allgemeinpolitisch arbeiten, mich interessieren nicht nur die Themen der Informationsgesellschaft, sondern ich mache auch gerne Frauenpolitik, Ökologiepolitik, Familienpolitik und Drogenpolitik.
Ich bin gerne in einer Partei, die wesentliche Fragen wie die von Krieg und Frieden oder die der sozialen Sicherung lang und breit diskutiert und am (vorläufigen) Ende mit einem Beschluss geklärt hat. Ganz sicher muss ich es mir nicht geben, mich von Pazifisten (oder Anti-Imperialisten) als schlechter Mensch beschimpfen zu lassen – ich war noch nie Pazifistin und werde es auch nicht mehr werden. Kurz: Ich befürchte, dass sich viele wegen der Kriegseinsätze von den Grünen enttäuschte Menschen in der Piratenpartei engagieren werden.
Grundsätzlich argumentieren viele Menschen, die mich motivieren wollen, dass ich mich in der Piratenpartei engagiere, sehr moralisch. Sie beschimpfen dabei meist auch die Grünen. Manchmal auch mich. All das kommt bei mir gar nicht gut an.
Auch wenn ich mich den Linken bei den Grünen zurechne – und zugerechnet werde – so versuche ich dennoch, realistische Politik zu machen und das Erreichte nach dem Erreichbaren zu bewerten. Ich bin nicht dafür, den Pragmatismus abzufeiern, wie es manche bei den Grünen tun, aber eine moralische Argumentation, die oft mit einer schematischen Einteilung in “Gut” und “Böse” daherkommt, verursacht in mir Bauchkrämpfe. Man kommt dann sehr schnell dazu, Menschen abzuqualifizieren, weil sie eine bestimmte Meinung vertreten. Das ist das Gegenteil von Diskurs – und Diskurs ist mir ausgesprochen wichtig.
Vergleiche, die jetzt gezogen werden, dass die Piratenpartei die neuen Grünen seien, kann ich nur so weit stehen lassen, dass sie eine Art “Bewegung von Unten” sind und dass sie sich als “Anti-Parteien-Partei” sehen. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Grünen aus ganz unterschiedlichen Bewegungen – in der ausgehenden 68er-Zeit – hervorgegangen sind. Ein paar Beispiele: Frauenbewegung, Friedensbewegung, Ökologiebewegung, Schwulenbewegung, Antiautoritäre, Spontis, Kommunisten. Es gab sogar Reaktionäre bei den Grünen, wie zB Herbert Gruhl, der einen tendenziell menschenfeindlichen Ökologismus pflegte und später zu den rechtskonservativen “Unabhängigen Ökologen Deutschlands” wechselte – das ist zum Glück lange vorbei. Heute sind die Grünen linksliberal und ökologisch, auch unsere “Parteirechten”. Klammer war immer die Forderung nach einem anderen Wirtschaften – die Grünen haben die Ökologie mit in die Denkweise hineingebracht. Die Gerechtigkeits- bzw. Verteilungsfrage sollte auch in der zeitlichen Dimension betrachtet werden. Wirtschaft und Soziales vierdimensional denken – Das ist Ökologiepolitik.
Wenn man sich vor Augen führt, was für vielfältige Wurzeln die Grünen haben, kann man vielleicht auch etwas besser nachfühlen, warum sich unsere Abgeordneten immer so besonders “individualistisch” verhalten, mehr als in anderen Parteien. So lange der Diskurs stimmt, habe ich damit übrigens gar kein Problem.
Aber ich schweife ab.
Die Piratenpartei dagegen hat nur eine Wurzel: Das Netz. Zurzeit haben wir zwar einen großen Konflikt zwischen denjenigen, die das Internet und dessen Auswirkungen auf Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft verstehen können und denjenigen, die das nicht können oder wollen. Mit gewisser Berechtigung könnte man behaupten, dass ja auch das Internet eine neue Dimension in die Wirtschaft hineinbringt, und somit die Piratenpartei dieselbe Bedeutung wie die Grünen haben wird. Erstens wird sie das sie aber nur, wenn sie allgemeinpolitisch wird, und wenn das Internet und seine Politiken eben als die Klammer wirken, die für die Grünen die Ökologiepolitik ist. Zweitens meine ich, dass es noch fünf Jahre dauern wird, dann wird es viele Politiker geben, die das Netz verstehen. Dann wird es Politiker geben, die fundiert über die unterschiedlichen Creative Commons Lizenzen diskutuieren. Schon jetzt gibt es ja viele Politiker, die das Netz zur Kommunikation benutzen. Und schon jetzt gibt es auch in den etablierten Parteien Politiker, die das Netz verstehen. Kurz und knapp: Ich meine, dass sich das Problem mit der Zeit von selbst lösen wird.
Die ökologische Frage und die Folgen des menschengemachten Klimawandels dagegen sind ungleich gravierender. Es werden viele Menschen sterben und leiden. Schon heute passiert das – zum Beispiel jeden Tag an den Grenzen Europas. Der Klimawandel wird diese Fluchtbewegungen noch vermehren. So ist es leider, beschimpft mich als Offline-Politikerin und sagt, dass der Entzug des Netzes für Euch die “Digitale Todesstrafe” ist – ich halte das Problem Energie und Klima für nicht gelöst und auch für ungleich schwerer lösbar als das Problem “Freies Internet”. Das aber nur zur Versinnbildlichung, warum ich das Thema “Ökologie” für eine haltbarere und umfassendere Klammer als das Thema “Internet” halte.
Es wird ja auch immer angeführt, dass die Grünen bei ihrer Gründung auch noch kein Programm hatten. Ich meine, dass die Einführung von ökologischem Denken in Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft Programm genug waren. Außerdem gab es, wie gesagt, ja auch Wurzeln aus unterschiedlichsten Gruppen, so gab es eben auch von Beginn an Frauenpolitik, Außenpolitik und Sozialpolitik. Es ist deswegen sachlich falsch zu behaupten, die Grünen wären zu Beginn – wie die Piratenpartei heute – eine Ein-Themen-Partei gewesen.
Und: Nach meiner Beurteilung ist die Piratenpartei eine Protestpartei. Ich möchte nicht Mitglied einer Protestpartei sein. Wenn Politologen anwesend sind, können die mir ja mal eine Einschätzung hierzu kommentieren.
Zuletzt ein ganz egoistisches Argument: Seit 2002 bin ich bei den Grünen Mitglied. Ich habe dort viele Freunde. Ich habe dort viel erlebt. Ich war im Bundesvorstand der Grünen Jugend, im Parteirat und im frauenpolitische Sprecherin in Berlin. Ich habe die Grünen oft am Wahlkampfstand auf der Straße oder in meinem Blog verteidigt – und das aus Überzeugung. Denn ich halte die Grünen für die beste Alternative im bestmöglichen politischen System.
Ganz realistisch betrachtet.
Bildnachweis: YARRRR! von mandolux – Lizenz: CC-BY-NC-ND
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105 Responses to “Warum ich nicht zu den Piraten gehe”
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iliiililil
Naaja.. nicht ganz so ausgereifte Argumentation aber na gur.
PS:
Die Grünen dagegen hat nur eine Wurzel: Die Umwelt. -
[…] bashed ja nicht das erste mal in richtung Piratenpartei. Das macht sie ja öfters, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Auch in Twitter Tweets kann sie es nicht lassen, wie sie es mehrfach eindrucksvoll […]
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Was die Grünen so angestellt haben kann man hier
http://www.buergerrechte-waehlen.de/index.php?option=com_content&task=view&id=25&Itemid=40gut erkennen.
Wenn man dazu auch noch steht, dann finde ich das schade und traurig.Aber was macht man nicht alles, um den Medien zu glauben und eine neue Weltordnung durch zuziehen.
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Mirror
>>Die Piratenpartei dagegen hat nur eine Wurzel: Das Netz.
Jap, genau! Das Internet ist alles, aber auf keinen fall “vielfältig” 😉
Merkste selber, oder?Schöne Grünenwerbung, wieder n bischen Zeit sinnlos vertan 🙁
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[…] diesen Jahres, damals noch nicht in Diensten der taz, hat sich Frau Seeliger auf ihrem Blog dazu geäußert, warum sie nicht den Piraten beitreten wird. Ihre Argumente sind dabei per se nicht falsch – […]