Julia Seeliger
  • Studie zu Nazis im ländlichen Raum

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    21. June 2007 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Gestern wurde die Studie “Grenzen lokaler Demokratie” der grünen Bundestagsfraktion zu Nazis im ländlichen Raum vorgestellt.

    Untersucht wurden zwei Kommunen, eine im Osten und eine im Westen. Wesentliche Ergebnisse sind, dass insbesondere dem/der Bürgermeisterin einer Kommune eine besondere Bedeutung beim Engagement gegen lokale Nazi-Strukturen zukommt. Spezifische Probleme von Antinazi-Initiativen in Dörfern und Kleinstädten – im Unterschied zur relativen Anonymität in der Stadt – ergäben sich aus der starken gegenseitigen Kontrolle und dem größeren Konformitätsdruck.

    In beiden Kommunen ist “zivilgesellschaftliches Engagement” eng verquickt mit der kommunalen Politik und Verwaltung. Das sei eben nicht das “klassische” zivilgesellschaftliche Engagement, sondern eine spezifische Ausprägung, die sich aus den lokalen und politisch-inhaltlich eher pragmatischen Bündnissen gegen Rechts ergibt.

    Es wurde auch herausgestellt, dass die so genannte “Extremismustheorie” nachteilig ist, da sie die Nazi-Ideologie – mit Ausprägungen wie Rassismus, Antisemitismus – nicht richtig zu fassen vermag. Der Begriff “Rechtsextremismus” trage zu einer inhaltlichen Entleerung bei. Nicht zuletzt durch die Heitmeyer-Studien ist belegt, dass eine solche Theorie Ideologieelemente des Nationalsozialismus nicht richtig fassen kann: Menschenverachtendes, rassistisches und antisemitisches Gedankengut findet sich eben genauso in der so genannten “Mitte der Gesellschaft”. Das bedeutet für die politische Praxis, dass man lieber von “Nazis” als von “Rechtsextremen” sprechen sollte, und zweitens bedeutet dies auch, dass endlich Schluss sein muss mit der unseligen Aufrechnerei zwischen “Rechtsextremismus” und “Linksextremismus”, wie es besonders gerne in der CDU betrieben wird.

    Drittens wurde deutlich gemacht, dass es hilfreich ist, wenn Kommunen (bzw die kommunalen VertreterInnen von Politik und Verwaltung) Demokratie und Minderheitenschutz auch aktiv leben und auch abweichende, beispielsweise “nicht-bürgerliche” Auffassungen, integrieren. So sprach in den Interviews niemand von der lokalen Antifa, obwohl diese als Akteurin vor Ort zumindest in der West-Kommune aktiv handelnd vorkommt. Auch eine Initiative für Flüchtlinge war offensichtlich in der West-Kommune nur unzureichend akzeptiert. An dieser Stelle zeigen sich die Grenzen der so genannten “bürgerlichen Bündnissen”.

    Monika Lazar (MdB) stellte noch heraus, dass die durch die “Große Koalition” geänderten Vergaberichtlinien bei den Bundesprogrammen gegen Nazis eine Verschlechterung für die Arbeit vor Ort bedeuteten. Jetzt kann nur noch Geld vergeben werden, wenn dies durch die Kommune beantragt wird. Ein Teufelskreis: Wenn die Kommune ein lokales Nazi-Problem nicht ernst nimmt oder gar totschweigen möchte, dann wird auch kein Geld aus den Programmen beantragt. Den zivilgesellschaftlichen Strukturen gegen Nazis, die in den vergangenen Jahren mühsam ausgebaut wurden, droht jetzt vielerorts das Aus.

    Durchgeführt wurde die Studie von Doris Liebscher (Antidiskriminierungsbüro Leipzig) und Christian Schmidt (Sächsische Akademie der Wissenschaften), die Projektleitung hatten Rebecca Pates und Daniel Schmidt vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Leipzig. Sie findet sich hier (PDF-Zusammenfassung) und hier (PDF-Langfassung). Die Arbeiten an der Studie wurden Ende 2005 auf mein Engagement hin gestartet. Deswegen: Wenn Ihr eine politische Innovation im Kopf habt, wendet Euch einfach mal vertrauensvoll an die grüne Bundestagsfraktion.


    Einsortiert: antifa, die fraktion


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9 Responses to “Studie zu Nazis im ländlichen Raum”

  1. […] Irgendwie ergab es sich, dass gleich zwei mir bekannte Blogs sich heute (zumindest fiel es mir da auf :)) mit Rechtsextremismus beschäftigten, auf die ich ohne große Worte verweisen will: Sandra hat sich die Zahlen der politisch motivierten Straftaten von Links und Rechts mal angesehen und mit einer Aussage von dem geschätzten Innenminister verglichen, was diesen nicht sonderlich gut aussehen lässt. Sie erwähnte dabei auch eine Studie zur Verankerung des Rechtsextremismus in der Gesellschaft, welcher sich Julia Seeliger in ihrem Blog genauer gewidmet hat. Dabei kritisiert sie auch die Bundesregierung, die die Förderprogramme so umstellte, dass grade Kommunen hier den Antragstellen müssen, was bei mangelndem Problembewusstsein derselben natürlich schwer vorstellbar ist. Also beides lesen! « Terminhinweis: Robert in der ARD –  […]

  2. […] Bald kommt wieder mehr. Beispielsweise zur Studie Nazis im ländlichen Raum, Schäuble, der seine rechte Fratze zeigt, Tocotronic, die mich mit ihrer Kapitulation begeistern und natürlich Infos über Nazis und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – wie gewohnt. […]

  3. ..bemerke noch, dass dieses Herumhacken auf dem laendlichen Raum zur Hybris jedes Staedters gehoeren mag, in Wirklichkeit ist es doch so, dass lediglich die relative Anonymitaet und ein gewisser Konformitaetdruck in Richtung auf ‘xenophilie’ des grossstaedtischen Raumes die Rassismen verdeckt, die hier so offenbar sind wie dort. Fragt man sich im gruenen Papier eigentlich, wie gerechtfertigt das ‘Aufrechnen’ rechtsradikaler Gewalt mit ‘muslimischer Gewalt’ eigentlich ist, oder ist das offenbar etwas anderes, ist der PI-blog etwas anderes, weil Muslime ja tatsaechlich und grundsaetzlich Gewalttaeter sind?

  4. “Deswegen: Wenn Ihr eine politische Innovation im Kopf habt, wendet Euch einfach mal vertrauensvoll an die grüne Bundestagsfraktion. ”

    Das dürfte nur für diejenigen gelten, die dort Ansprechpartner haben. Bei mir werden keinerlei Zuschriften beantwortet (dazu auch http://www.informationelle-selbstbestimmung.com/mit35.html). Ist halt alles eine Frage von Beziehungen, wohl auch bei den Grünen.

  5. Lieber Jens,

    das kann sein, jedoch: Ich hab da nicht hingeschrieben, sondern bei der thematisch passenden Abgeordneten angefragt.

    Vielleicht war das das Problem … Wenn man niemand persönlich anfragt, dann fühlt sich vielleicht auch niemand verantwortlich …

  6. “das kann sein, jedoch: Ich hab da nicht hingeschrieben, sondern bei der thematisch passenden Abgeordneten angefragt.

    Vielleicht war das das Problem … Wenn man niemand persönlich anfragt, dann fühlt sich vielleicht auch niemand verantwortlich … ”

    Nun wohne ich nicht in Berlin und telefonisch hat man ohnehin nur irgendeinen Mitarbeiter am Tel. Mir hier auf dem Land bleiben nur Mails und Faxe. Selbst meine Faxe direkt an Abgeordnete wurden nicht beantwortet. Hier meine Mini-Statistik: Ich habe insgesamt etwas um die 30 Faxe und 10 Mails an Abgeordnete fast aller Parteien geschrieben. Geantwortet haben bisher nur Abgeordnete der SPD, hier aber auch nur 3.

    So oder so: Ich habe unter anderem das Kontaktformular auf der Webseite der Bundestagsfraktion der Grünen genutzt. Dass darauf nicht geantwortet wurde ist schlicht unverzeihlich. Jede Erklärung dafür macht es nur noch schlimmer, insbesondere wenn man ernsthaft postulieren möchte, dass sich dort niemand verantwortlich fühlt. Für mich war es letztendlich ein Lehre: Die Grünen stecken damit für mich auf Bundesebene in der gleichen Schublade wie die anderen Parteien – und entsprechend werden Äusserungen grüner Politiker nun auch bewertet. Traurig.

  7. Hi Jens,

    So oder so: Ich habe unter anderem das Kontaktformular auf der Webseite der Bundestagsfraktion der Grünen genutzt. Dass darauf nicht geantwortet wurde ist schlicht unverzeihlich. Jede Erklärung dafür macht es nur noch schlimmer, insbesondere wenn man ernsthaft postulieren möchte, dass sich dort niemand verantwortlich fühlt.

    ich sag denen mal bescheid. Das geht aber wirklich nicht!

  8. Lieber Jens,

    ich hab mich jetzt mal an die grüne Bundestagsfraktion gewandt. Von dort wurde mir zugesichert, dass alle Kontaktanfragen, bis auf Beschimpfungen, beantwortet werden.

    Es kann deswegen bei dir – so denke ich es mir nach dem etwas unschönen Mailwechsel – also, es kann bei dir höchstens sein, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Wenn Deine Anfrage nicht beantwortet wurde, so kann es sich – so wie ich es schätze – nur um höhere Gewalt handeln, da die Mitarbeiterin der Fraktion mir glaubhaft versicherte, dass alle (!) Anfragen, die nicht beschimpfend sind, beantworten würden. Vielleicht ist ja der Server in genau dem Moment, wo Du die Mail sandtest, unbemerkt für eine Millisekunde abgestürzt, oder ein neuer Praktikant hat deine Mail aus Versehen gelöscht. Oder es gab noch ganz andere, nicht für uns nachvollziehbare Begründungen. Wie gesagt, ich tippe auf “Höhere Gewalt”, denn Unaufmerksamkeit ist es nicht gewesen (das wurde mir versichert, man würde alle Anfragen beantworten, wenn sie nicht beleidigend seien).

    Ich gehe mal davon aus, dass die grüne Bundestagsfraktion das Kontaktmanagement wirklich ernst nimmt. In meinen Augen muss sie dies tun! So etwas ist wirklich wichtig, und alles andere wäre einer modernen und effektiven, aber auch einer bürgerInnennahen und basisdemokratischen Organisation nicht angemessen.

    Warten wir mal ab, ich hab der Fraktion Deinen ganz konkreten Fall mitgeteilt. (Nicht ohne den nötigen Nachdruck, und mit offener Kritik am Kontaktmanagement, weswegen es auch zu Unmutsäußerungen vonseiten der Fraktionsmitarbeiterin kam)

    Ich gehe mal davon aus, dass Deine Mail jetzt hervorgesucht wird und dass Du bald Deine Antwort bekommst.

    Also, alles wird gut,

    Julia

  9. […] Blog-Artikel von mir zu genannter Studie (mit Diskussion) […]