Julia Seeliger
  • Deutschunterricht und Brandenburg

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    26. December 2006 | Trackback | Internet ausdrucken
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    Eben noch fuhr ich im Trans-Brandenburg-Express und blickte hinaus in die nebelverhangene Ebene. Kaum ein Haus, kaum Strauch wagte sich aus dem weißen Dunkel. Meine Gedanken schweiften in die Vergangenheit, in die Zeiten der frühfreitaglichen Deutsch-LK-Sit-ins, als Herr L. – ein ganz wunderbar verlebter Lehrer, der ebenso wie wir SchülerInnen mit ganzer Energie an der Kaffeetasse sich festhielt, um nicht in die Dämmerwelten der eben verlassenen Traumgebilde zurückzusinken – als also besagter Herr L. uns in die wunderbaren Welten der “Deutschen Gedichte” (Reclam-Heft, damals 4 Mark) zu entführen versuchte.

    Mir gefiel dies ganz besonders, auch, weil ich einmal zur Zerstreuung im Deutschbuch einen Aufsatz von Umberto Eco gelesen hatte. Eco hatte dort am Beispiel einer Quelle deutlich gemacht, wie sehr Lyrik doch eine Art vollkommener Text sei (Vorausgesetzt natürlich, der Dichter versteht sein Geschäft). Mit der minimalen Anzahl von Worten würde “in Lyrik” das Maximale ausgedrückt.

    Derartig beeindruckt von Ecos Text, aber auch vom Deutschunterricht an sich stürzte ich mich voller Begeisterung in Daktylen und Jamben, lernte Hexameter und Elfsilber, ja eben einen gut komponierten Sprach-Rhytmus kennen und lieben. Als ich heute morgen durch Brandenburg fuhr, nebelverhangen und doch so wohlbekannt, fielen mir abermals die Deutschstunden ein, Effi auf der Schaukel, aber vor allem eben die Stunden mit dem gelben Gedichtebuch. Anlässlich dieser Erinnerung hier jetzt ein Gedicht von Mörike – nein, nicht Hesses “Im Nebel”, das ist mir gerade zu deprimierend und mit meiner aktuellen Situation auch überhaupt nicht kongruent. Dazu kommt, dass Herr L. – man kann es in der Tat so ausdrücken – Hesse verabscheute. Deswegen – frei nach Koholet: Es gibt die Zeit für Hesse, und es gibt die Zeit für Mörike. Alles zu seiner Zeit.

    Nun denn, heute somit mal kein Hippie-Leben, mein Gedicht des Tages ist ein eher esoterisches, wie manche meiner Freunde sagen würden, oder gar christliches. Es ist “Septembermorgen” von Eduard Mörike, das ich schon immer wegen seiner exquisiten Form mit großem Genuss goutiert habe.

    Im Nebel ruhet noch die Welt,
    Noch träumen Wald und Wiesen:
    Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
    Den blauen Himmel unverstellt,
    Herbstkräftig die gedämpfte Welt
    In warmem Golde fließen.


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2 Responses to “Deutschunterricht und Brandenburg”

  1. .. das erinnert mich an Passagen aus Thomas Bernhards ‘Frost’, ich zitiere, evtl. ist der Blickwinkel nicht ganz vergleichbar:

    ‘Er sagte:” Der Fluss war bis herauf zu hoeren. Keine Maschine. Nichts. Keine Vogelstimmen, natürlich. Wie wenn alles unter einer Eisdecke erstarrt wäre.” Er hätte sich in einer annähernd ähnlichen Wirklichkeit befunden. Habe mit seinem Stock Missbildungen von Schnee und Eis aufgescheucht. Sich mit ausgebreiteten Armen in weisse unberührte Schneedecken fallen lassen.”Wie ein Kind.” Sei so liegengeblieben bis zu dem Grad wo man glaube, jetzt erfrieren zu muessen. “Der Frost ist allmaechtig”, sagte er. Er setzte sich. Sagte:”Nichts ist mir unfassbarer, als dass ich fruehstuecke.” Fruehaufsteher koennten einen gandenlosen herrlichen Frost bewundern, wenn sie fortgingen, hinaus. “Die Entdeckung dass der Frost alles besitzt, ist ja nicht erschreckend.” Frühaufstehern offenbare sich die Welt in wunderbarer Deutlichkeit und Wahrheit. Die “erbarmungslose Welt des Frosts” widerspreche ihnen und mache sie gefuegig. Ausgeschlafene Frühaufsteher empfaenden die Welt als “vor dem Wahnsinn sicher”. ‘

  2. Urdeutsche Naturromantik. Ein Stück von Julias Heimat 😉