zeitrafferin
Julia Seeliger-
4. August 2008 | 26 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Ein interessanter Artikel zu Ernährungsverhalten von Menschen im Kontext mit ihrer sozialen Herkunft ist in der taz erschienen. “Das Essen der Anderen” ist der Artikel von Friedrich Schorb, Mitarbeiter am Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen, überschrieben.
Hungern muss niemand in Deutschland. Falsche Ernährung sei daher vorrangig eine Frage des Bewusstseins, und an dem mangele es den Betroffenen, monieren Kritiker eines vermeintlich zu generösen Sozialstaats. Doch auch diese Behauptung hält der Überprüfung nicht stand. Wahr ist nur der erste Satz – und auch nur für Erwachsene.
Diese “Totschlagargumente” vermitteln den Eindruck, es handle sich bei den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen um belastbares Faktenwissen. Tatsächlich aber ist die Debatte um die richtige Ernährung häufig von Vorstellungen geleitet, die wenig mit Wissenschaft, aber viel mit dem Wunsch nach Distinktion zu tun haben. Unser Verdauungssystem unterscheidet nun mal nicht zwischen Fischstäbchen und Kaviar – und unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten ist ein Big Mac einem mit Rucola und Parmaschinken belegtem Ciabatta ebenbürtig.
In dem Artikel kommen auch Oswald Metzger und Renate Künast zu Wort. Deren tendenziell chauvinistische Linie im Bereich der “Ernährungspolitik” habe ich immer kritisiert.
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7. July 2008 | 4 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Wie jedes Jahr machte ich mich auch heuer Anfang Juli auf den Weg nach Köln – der größte Feiertag meines Jahres, der “Cologne Pride” (CSD Köln), lockte. Am selben Wochenende fand übrigens der CSD-Budapest statt, wo es nicht ganz so fröhlich abging – dort warfen Nazis Eier, Flaschen und Steine auf die rund 1.000 Teilnehmer. In Köln ist der CSD nahezu in der Mitte der Gesellschaft, meine Vermutung ist, dass dies auch an der Karnevals-Tradition der Rheinmetropole liegt (Zoch is Zoch). Manche mögen die zunehmende Kommerzielisierung des CSD beklagen, ich finde es gut so, auch wenn Ford und Pharma beim CSD Köln mit dabei sind.
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11. May 2008 | 17 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Rechtzeitig vor der letzten Bundesdelegiertenkonferenz gab es ein langes Doppelinterview mit Claudia und mir in der BRIGITTE. Ich veröffentliche es auch mal (weiter unten) im Gesamten, denn ich habe es gerade im Wortlaut schon bei Claudi gefunden. Dann nehme ich es einfach auch mal – Gesamttext morgen, ich hab gerade keine Zeit, das zu formatieren.
Auf dem Parteitag vor einem Jahr wurden Sie, Frau Seeliger, überraschend in den 16-köpfigen Parteirat gewählt, eines der wichtigsten Gremien bei den Grünen. Damit haben Sie die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, rausgekickt. Die Rede, mit der Sie überraschend kandidierten, war polemisch und wirkungsvoll.
Julia Seeliger: Nein, ich habe Katrin Göring-Eckardt nicht gestürzt …
… zumindest müssen Sie damit leben, dass Ihre Kandidatur in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wurde. Wie fühlen Sie sich denn im Parteirat?
Julia Seeliger: Anfangs war es schwierig, ich musste mich in verschiedenen Themen zurechtfinden, die anderen Mitglieder kennen lernen. Die mich wiederum nur aus der Presse und aus Erzählungen kannten . . .
Claudia Roth: . . . und sich vielleicht gefragt haben, was du im Parteirat anstellen willst. Da gab es schon gewisse Vorbehalte.
Julia Seeliger: Sicher. Und ich hatte Angst, ich könne vielleicht gute Reden halten, aber in der Diskussion nicht bestehen.
Claudia Roth: Typisch Frau, diese Ängste, nicht gut genug zu sein. Sogar ich habe solche Ängste noch, obwohl ich schon so lange dabei bin.
Das zu hören ist jetzt sicher nicht so tröstlich für dich, Julia.
Julia Seeliger: Stimmt. Mit der Zeit habe ich mich allerdings im Parteirat sehr viel sicherer gefühlt. Ich wollte meine Meinung sagen, auch mal biestig sein können. Wir hatten zum Beispiel eine Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen, ich war dafür, die meisten im Parteirat sind dagegen. Auch du, Claudia.
Claudia Roth: Grundeinkommen für jeden, jeder Mensch ist gleich -das hört sich gut an. Meine Priorität liegt aber auf dem Ausbau der Infrastruktur: gute Schulen, Kinderbetreuung für alle Kinder. Das halte ich für entscheidend. Ich finde es aber gut und wichtig, wenn offen über die Zukunft der sozialen Sicherung diskutiert wird. Ich erwarte auch von jungen Leuten wie dir, Julia, dass sie frischen Wind in die Partei bringen. Und dass du im Parteirat so etwas wie ein Stachel bist.Frau Seeliger, macht es auch Druck, ein Stachel sein zu müssen?
Julia Seeliger: Klar, ich weiß, dass diejenigen, die mich gewählt haben, das von mir erwarten. Ich soll eine junge, alternative Sichtweise reinbringen, aber das ist viel schwieriger, als ich dachte.
Claudia Roth: Bestimmte Realitäten wie etwa der alltägliche Umgang mit neuen Technologien – das ist für mich weit weg, da bin ich gnadenlos altmodisch. Ihr Jüngeren wisst, wie sich das anfühlt, zur Generation Praktikum zu gehören. Und wir Älteren bringen die Erfahrung mit.
Ich habe damals auch gleich schon die ersten bösen E-Mails bekommen, weil ich mich in dem Interview für eine Kindergarten-Pflicht ab drei Jahren ausgesprochen hatte.
17 KommentareHallo Frau Seeliger,
heute habe ich Ihr Interview in der BRIGITTE gelesen und bin stinksauer. Ihr Statement””Deshalb würde ich zum Beispiel dafür eintreten, dass es vor der Grundschule eine Kita-Pflicht für alle Kinder gibt…” ist echt völlig der Gipfel. In der zur Zeit herrschenden Diskussion hat man dann nur wenig Möglichkeiten: 1. Mutter, die ihre Kinder erzieht = völlig reaktionär 2. keine Kinder = gute Wahl oder 3. Kinder und Vollzeitberuf = die Superfrau
So ein Quatsch!
Vielleicht denkt ihr Politikerinnen auch mal an die Frauen, die gerne ihre Kinder erziehen und trotzdem gesellschaftlich akzeptiert arbeiten wollen. Teilzeitjobs auch in Führungspositionen wäre eine geile Forderung. Das ist echte Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung.
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19. April 2008 | 21 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Das Papier wurde mit einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen beschlossen. Ich bin sehr zufrieden! Sobald ich ihn online finde werde, ich den Beschluss verlinken.
Der kommende Landesparteitag wird sich mit den Themen Bildung und Familie beschäftigen. Zu Bildung ist schon viel gesagt und in diesem Bereich werden andere eine Menge Energie einbringen. Mein Höhepunkt des Parteitags wird der Antrag “Vielfalt der Familienformen anerkennen” (PDF) sein.
Alleinerziehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern machen inzwischen 26 Prozent der Familien aus. In Berlin wächst sogar fast die Hälfte aller Kinder (47 Prozent) in alternativen Familienformen auf. Eigentlich ist es deswegen unzutreffend, von “Alternativen Familienformen” zu sprechen:
Regenbogenfamilienl(i)eben ist die gesellschaftliche Normalität.
Regenbogenkinder sind gleich viel wert! – Urheber/in (Lizenz)Den Staat hat es nichts anzugehen, ob die Eltern einen Trauschein haben: Unser Leitbild ist die gesellschaftliche Akzeptanz und staatliche Neutralität in Bezug auf die verschiedenen gelebten Familienformen. Deswegen muss Schluss sein mit den Privilegien der Ehe, zum Beispiel dem Ehegattensplitting. Unser Ansatz ist es, Kinder direkt zu fördern und nicht die Möglichkeit, Kinder zu bekommen. Wir haben einen verteilungspolitischen Ansatz gewählt: Die Bevorzugung der Ehe führt auch zu materieller Ungleichheit. Familien jenseits der Ehe, vor allem Alleinerziehende und bildungsferne Familien, überwiegend mit Migrationshintergrund, sind besonders stark von Armut betroffen.
In dem Antrag kommt auch ein “Familienvertrag” vor. Unser Ziel ist es, die sozialen Eltern zu stärken, ohne die biologischen zu schwächen: Das geht nur mit Mehrelternschaften. Wir schlagen deswegen den Familienvertrag als neues familienrechtliches Institut vor, denn er ermöglicht mehr Flexibilität. Dieser Teil des Antrags war am umstrittensten, denn oft kommt es, wenn Beziehungen auseinandergehen, zu Streitereien, in denen Kinder als “Pfand” missbraucht werden. Das wollen wir nicht. Der Familienvertrag, so schlagen wir vor, soll beurkundet und beim Jugendamt hinterlegt werden. Auch hier wieder das Hauptaugenmerk auf die soziale Sicherung des Kindes: Mindestens zwei Erwachsene sollen unterhaltspflichtig sein. Außerdem soll der Familienvertrag auch schon vor der Zeugung des Kindes eingegangen werden und im Laufe der Zeit angepasst werden können. Leitbild ist dabei immer die Dauerhaftigkeit der Beziehung.
Der Familienvertrag ist eine ziemlich neue Idee und wird in der kommenden Zeit noch weiter durchdiskutiert werden. Einwände waren, dass er zu bürokratisch sein könnte. Zudem muss sichergestellt sein, dass das Kind nicht in den Strudel von Eltern-Streitereien kommt. Im Hinterkopf behalten sollte man, dass das kein Gesetz ist, welches wir da gemacht haben, sondern Leitlinien für eventuelle Gesetzesänderungen.
“Vielfalt der Familienformen anerkennen” ist in einem langen Prozess entstanden: Seit 2006 wurden im Landesverband Berlin Papiere hierzu in den Gremien diskutiert. Der Landesverband NRW hat einen ähnlichen Antrag beschlossen, ich bekam aber auch schon Lob von dort, dass unser Antrag “wirklich toll” sei – weil schon weiter und konkreter als der von NRW. Auch die Grüne Jugend hat bei ihrem letzten Bundeskongress in Würzburg – enthalten im Leitantrag “gemeinsam frei leben” – einen Familienvertrag beschlossen. Das Thema ist also bundesweit schon in verschiedenen Gruppen diskutiert worden. Und jetzt auf dem Berliner Landesparteitag – es bleibt spannend!
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