Julia Seeliger
  • Artikel 15

    13
    12. February 2009 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Update: Jetzt ist das Video gedreht und im grünen Channel in der Rubrik “60 Jahre Menschenrechte” einsortiert. Den Artikel 15 fand ich nicht ganz einfach, und wie man an dem Video sieht, fand ich die Gedanken in den Kommentaren diesmal nicht so sinnvoll und habe mir – mit Rückkopplung bei Jan, danke nochmal dafür! – ein paar eigene Gedanken machen müssen. Hoffe, das Video gefällt euch! Den Sprechtext, den ich dann geschrieben habe, findet ihr weiter unten.

    Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.

    Bertolt Brecht, “Flüchtlingsgespräche”, 1940

    Im Rahmen der Reihe “60 Jahre Menschenrechte” werde ich am Donnerstag zum Artikel 15 – überhaupt nicht unspannend! – eine Videobotschaft aufnehmen. Postet mir in mein Blog, was euch zu Artikel 15 einfällt. Ideen, die ich gut finde, werden aufgenommen.

    Artikel 15

    1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.
    2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsanghörigkeit zu wechseln.

    Mein Sprechtext für das Video:

    Artikel 15

    1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.
    2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln
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    Dieser Artikel hat es in sich.

    Ich bin ja im Prinzip keine große Nationalstaatsfreundin. Ich wünsche mir eine freie und offene Welt, in der Menschen jeglicher Herkunft frei reisen können und in derjenigen Region der Welt leben können, wo sie es sich wünschen. Alle sollen da, wo sie sich gerade aufhalten, Zugang zu Demokratie und Rechtsstaat, und auch zum Sozialstaat bekommen.

    Und ich finde, der Artikel 15 trägt ein Bekenntnis zu einer solchen Welt in sich.

    Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht paradox: Sind es nicht gerade die Grenzen der Nationalstaaten, die Barrieren aufbauen, die Bewegungsfreiheit verhindern?

    Man muss pragmatisch bleiben und die Kirche im Dorf lassen: Staatsangehörigkeit ist mehr als nur ein Blutrecht, wie es die Konservativen uns glauben machen wollen. Das mit dem Blutrecht finde ich antimodern und wenig geeignet, den Erfordernissen der Zukunft, vor allem den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen.

    Staatsangehörigkeit ist – ganz modern gesagt – ein Bündel verbriefter Rechte, auf die sich der und die Einzelne berufen kann, Rechte, die Sicherheit geben.

    Eine Staatsangehörigkeit ermöglicht zum Beispiel in vielen Fällen erst die Ausübung politischer Rechte – wählen und sich wählen lassen – sie gibt auch ein Recht auf den Schutz durch den Heimatstaat.

    Staatenlose haben diese Rechte nicht – das liegt in der Natur der Sache, und das ist nicht gut so! Zwar sind grundlegende Rechte wie zum Beispiel das Recht auf Eigentum und der Zugang zuden Gerichten durch die Staatenlosenkonvention festgelegt.

    Zur Wahl zu gehen oder sich selbst wählen zu lassen, das ist für Staatenlose nicht möglich.

    Das Konzept Staatsangehörigkeit sollte nicht abgeschafft, sondern für das 21. Jahrhundert, für das Zeitalter der Globalisierung überdacht und neu definiert werden. Staatsangehörigkeit muss regionaler werden, sie muss mehr vom Individuum aus gedacht werden.

    Wir müssen hinkommen zur guten Idee des “Citizenships”. Citizenship sieht Staatsbürgerschaft – abstrakter gesagt “Bürgerschaft” – eben nicht als Selbstzweck, sondern als Grundlage für ein bürgerschaftliches Miteinander in einer wie auch immer gearteten Gruppe.

    Das Citizenship-Konzept ist eine gute, moderne und pragmatische Idee!

    Alle Menschen sollen überall dort, wo sie sich gerade aufhalten, das Recht zu wählen haben und das Recht, sich wählen zu lassen. Alle sollen das Recht haben, an der Gemeinschaft teilzuhaben und sie zu gestalten.

    Ich wünsche mir eine soziale Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der die einen für die anderen da sind. Und in der man jedem Menschen aktiv die Möglichkeit gibt, für andere dazusein. Das wünsche ich mir für Deutschland und Europa, und irgendwann mal auch für die ganze Welt.


    Einsortiert: staat, weltpolitik
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13 Responses to “Artikel 15”

  1. Der erste Link ist tot. Und mir fällt ganz klischeehaft diese kuriose (und schreckliche) Geschichte ein.

  2. Der erste Link ist tot.

    Danke, ist korrigiert. Danke auch für die inhaltliche Anmerkung! Und schön, dich mal wieder in meinem Blog zu lesen.

  3. Mir fällt dazu vor allem die aktuelle Debatte um das Staatsbürgerschaftsentzugsgesetz (oder wie auch immer es nun wirklich heißen mag) ein.

  4. Mir fällt dazu vor allem die aktuelle Debatte um das Staatsbürgerschaftsentzugsgesetz (oder wie auch immer es nun wirklich heißen mag) ein.

    Stand heute auch in der taz.

  5. Insbesondere hämisch ist dieser Artikel wenn man bedenkt, dass das Vorwort nicht stimmt.

    In Deutschland hat Mensch einen Personalausweis, und keinen Paß oder Personen-Ausweis.

    Da besteht schonmal dialektisch ein grosser Unterschied. Wenn man sich die Hintergründe hinter Personal-Ausweis und sowas wie Wohn-Haft anschaut, dann kommen einem wieder solche Bilder von Leibeigenschaft hoch, dass es grausen könnte.

    grüße

  6. Welcher Artikel? Meiner oder der von der “taz” ?

    In Deutschland hat nicht jeder Mensch einen Personalausweis. Was ist mit “Illegalen”?

  7. Toll gemacht. Neben dem Inhalt interessiert mich natürlich auch die Technik. Mit welcher Kamera habt hier hier gearbeitet, das Bild ist doch schon recht Harmonisch geworden.

    Gruß

    Gerald

  8. Lieber Julia,
    in der Tat ein schöner Artikel und besonders nachdenkenswert. Er verdeutlicht, welche Rolle Staaten für die Verwirklichung von Menschenrechten spielen. Staaten sind schon etwas besonderes. Sie sind geographisch festgelegt, aber die Menschen sind es nicht. Bürger eines Staates können so ziemlich überall auf der Welt leben und trotzdem einem Staat angehören. Die Zugehörigkeit zu einem Staat beinhaltet eine Vielzahl von Pflichten und natürlich vor allem auch Rechte. Das sind die Rechte der Mitbestimmung, der Entscheidung in demokratischen Systemen (leider längst nicht überall auf der Welt, aber prinzipiell). In einer Welt von Staaten ist die Staatsbürgerschaft für Menschen der Schlüssel zu Verantwortung und Mitbestimmung. Selbst wenn man alle Staaten abschaffen würde (was ich nicht will), hätte man immer noch den Welt-Staat und der braucht eine Bürgerschaft. Das ist der Kern des ganzen, die Bürgerschaft. Bürger zu sein bedeutet, eben diese Teilhabe, diese Verantwortung. Wer dies nicht hat, der hat in einer emanzipierten Welt keine Rechte. Er ist außen vor. Und die andere Seite ist: Der Staat. Staaten, die ihren Bürgern keine Mitbestimmung gewähren, sind im Endeffekt Diktaturen. Sie entmündigen Menschen und machen Ihnen trotz der Bürgerschaft den eigentlichen Kern eben dieser zunichte. Es braucht also beides: Einen funktionierenden demokratischen Staat und eine Bürgerschaft, die diesen Staat durch Willensbildung lenkt. Das ist ein Idealzustand, den eigentlich kaum ein Land auf dieser Erde erfüllt. Schade. Aber das ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Denn wer für den verantwortungsBEWUSSTEN und pflichtBEWUSSTEN Bürger einsteht, der hat immer meine Sympathie.
    Herzlichst
    Ihr F. J. Metz
    P.S.: Originalzitat V. Pispers: “In Frankreich haben Sie eine “carte d´identité”. In Deutschland haben Sie einen Personalausweis. Der besagt, dass Sie zum Personal der Bundesrepublik Deutschland gehören.”
    🙂

  9. “liebe Julia” natürlich… habe schon vier Flaschen Kölsch…

  10. Lieber F.J. !

    Es freut mich außerordentlich, dass mein Statement ihre grundsätzliche Sympathie findet. Gerne können wir beizeiten bei einem (oder drei!) Kölsch alles weitere diskutieren. Bestimmt werde ich bald mal wieder im schönen Bonn weilen, letztes Mal haben wir uns ja leider “verpasst” (also: nicht gesehen, verabredet waren wir ja nicht).

    😀

    An Gerald: Wende dich mal an die Redaktion von gruene.de, die haben das gedreht. Diese Schräge habe ich mir aber selbst ausgesucht (“Es muss dieses graue Ding sein, Bäume finde ich langweilig”) auch wenn die Kameraleute zuerst nicht überzeugt waren.

  11. Hallo Julia,
    finde das es super Projekt, mit den Menschenrechtsartikelvideos. Und du hast dir echt den spannendsten Artikel rausgesucht. In meinem Ideal einer anderen Welt haben Nationalstaaten nichts zu suchen. Im Gegenteil sind dieser meiner Meinung nach Ursache dafür, dass viele „Menschenrechte“ nicht eingehalten werden. Ohne Nationalstaaten gäbe es ja gar nicht erst das Problem, dass manche Menschen als Illegale stigmatisiert werden. Ich stimme mit dir völlig überein, dass „Alle Menschen überall dort, wo sie sich gerade aufhalten, das Recht zu wählen haben [sollten] und das Recht, sich wählen zu lassen. Alle sollen das Recht haben, an der Gemeinschaft teilzuhaben und sie zu gestalten.“ Und es ist schön, wenn der Artikel so verstanden werden würde und einklagbare Gültigkeit hätte. Aber ob man dafür NATIONALSTAATEN „für das 21. Jahrhundert, für das Zeitalter der Globalisierung überdenken und neu definieren sollte“ oder doch lieber gleich abschaffen sollte, müssen wir irgendwann noch mal diskutieren 🙂
    Liebe Grüße aus Spanien,
    Christoph

  12. Gibt es denn ein Konzept, wie nach dem Wegfall der Nationalstaatsgrenzen lokale Infrastruktur finanziert werden soll? Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Steuerkonzept aussieht, wenn Migration komplett freigegeben ist.

    Momentan sorgt ja die Organisation in staatlichen Gebilden dafür, dass zumindest ein grober Zusammenhang zwischen Steuerzahlung und Nutznießung gegeben ist.

    Versicherungen oder Kooperativen als Alternative würden ja praktisch eine Art Kleinstaaterei zur Folge haben.

    Irgendwie fehlt mir die Vorstellungskraft, wie eine Welt ohne Grenzen aussähe. Außer man hätte eine Weltregierung mit Steuerhoheit. Aber von dieser Möglichkeit sind wir wohl noch eine ganze Strecke entfernt.

  13. Momentan sorgt ja die Organisation in staatlichen Gebilden dafür, dass zumindest ein grober Zusammenhang zwischen Steuerzahlung und Nutznießung gegeben ist.

    Steuerzahlen hat mit Staatsangehörigkeit nur bedingt zu tun, mehr mit Aufenthalts- bzw. Tätigkeitsort.Das wäre also zu machen.

    Außer man hätte eine Weltregierung mit Steuerhoheit. Aber von dieser Möglichkeit sind wir wohl noch eine ganze Strecke entfernt.

    Das kann auch nicht erstrebenswert sein. Der Wegfall von Grenzen bringt nämlich nichts, wenn man gar nicht aus- und einwandern kann…