Julia Seeliger
  • Nach Jamaika vielleicht – aber nicht mit der Concorde!

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    19. July 2006 | Trackback | Internet ausdrucken
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    In den letzten Tagen haben sich Mittdreissiger bei den Grünen für eine Jamaika-Koalition stark gemacht. Das Sommerloch macht’s möglich. Doch Berninger und Co. irren: Jamaika ist jetzt keine Lösung.

    Ein Kommentar

    Eine Jamaika-Koalition mit einer starken grünen Partei könnte sehr wohl sexy sein: Zusammen mit der FDP könnten die Grünen die CDU bei den BürgerInnenrechten in den Schwitzkasten nehmen. Ob Schily oder Schäuble – die Unterschiede sind marginal.

    Bei anderen Fragen innerhalb der Koalition könnte sich die Partei als laute Anwältin der Sozialen Gerechtigkeit und der Ökologie profilieren. Dazu käme, dass Grüne Verlogenes aufdecken könnten – gemeint damit ist Inkonsequenz beim Liberalen innerhalb der FDP und beim Christlichen innerhalb der CDU.

    Die SPD hat in rot-grünen Zeiten mit ihrer Volksparteihaftigkeit die Grünen viele Kröten schlucken lassen. Obacht: Es gibt keine Äquidistanz zu den Volksparteien. Dennoch stellt sich die Frage, wieviel schlimmer es mit den Schwarzen gewesen wäre. Was das Einhalten von Vereinbarungen betrifft, so hört man, soll es ja mit der CDU gar besser sein als mit den Sozen, die öfter mal etwas ganz anderes machen, als sie zuvor versprochen haben.

    Jetzt aber – jetzt ist ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um eine solche Innovation zu wagen. Die Grünen sind noch nicht so weit, Rot-Grün ist noch nicht verdaut. Die Bundestagsfraktion ist keinesfalls stark genug, grüne Inhalte konsequent zu vertreten.

    Diejenigen, die jetzt Jamaika fordern, diese graugesichtigen Jungspunde ohne Persönlichkeit, sollten erst einmal Inhalte definieren, und an Hand derer herunterargumentieren, warum sie jetzt und heute für Jamaika sind. Und zwar Inhalte, die nicht nur eine Fraktionssitzung, sondern auch eine BDK mit mehr als 50 Prozent passieren können.

    Presse statt Klasse – das scheint das kurzfristige, wenig nachhaltige Interesse dieser jungen grauen Herren bei den Grünen zu sein. Partei und Fraktion sollten nicht auf das Jamaika-Gekrähe dieser Ausführungspolitiker hineinfallen. Grüne wollen gestalten – und nicht nur pragmatisch verwalten!

    Der Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND hat zu den Jamaika-Verlautbarungen ein Papier herausgegeben.

    Im Blog von Sebastian Brux habe ich noch eine schöne Illustration zum Thema gefunden.

    Berninger der Bedeutungslose

    Hier noch mein zweiter Kommentar, der etwas mehr auf Inhalte eingeht als der erste:

    Farbenspielchen können wir Grüne erst wieder spielen, wenn wir unsere Regierungszeit umfassend aufgearbeitet haben. Dazu gehört es auch, die Instrumente der innerparteilichen Demokratie mal zu hinterfragen. In Regierungszeiten ist viel gutes Porzellan zerschlagen worden, so beispielsweise die Rotation und die Trennung von Amt und Mandat.

    Leider werden diese Instrumente wohl nie wieder eingeführt. Wir müssen uns klar werden, was diese Instrumente bedeuteten: Dass wir Grünen eine Alternative zum Parteienfilz sein wollten, als wir damals (und manchmal lohnt sich auch ein Blick zurück!) in die Parlamente stürmten.

    Diese Alternative, so wünsche ich es mir und dafür werde ich mich auch immer einsetzen, wollen wir auch heute noch sein. Mir persönlich reicht es nicht, eine Öko- und Sozial-Apparatschick-Partei zu sein. Inhalte gehen vor – je länger ich über diesen Spruch nachdenke, desto mehr muss ich an ihm zweifeln.

    Wir Grünen sind mehr als eine Partei, die Inhalte im Parteienwettbewerb erstreitet. Wir wollen eine Partei sein, die bestehende Strukturen aufbricht und die dem Parteiensystem unmittelbar innewohnenden Problemen (so z.B. dass sich Gruppen, wenn Macht und Posten zu verteilen sind, ganz offensichtlich selsbt korrumpieren) entgegentritt. Dafür ist auch eine Selbstbeschäftigung absolut notwendig, um weiterhin glaubwürdig zu sein.

    Ich finde es richtig, die Inhalte Öko und Soziale Gerechtigkeit (und darin enthalten ist auch die stärkere Fokussierung auf globale Gerechtigkeit) mehr in den Vordergrund zu stellen. Doch dies ist nicht alles:

    Wir Grünen sind eine offene, kosmopolitische und antikorrupte Partei. Um dies auch weiterhin glaubhaft verkörpern zu können, müssen wir ständig an uns arbeiten. Es gilt, auch bei uns – genauso wie im Parteiensystem an sich – verkrustete Strukturen aufzubrechen. Das ist eine tägliche Aufgabe.

    Ich bin auch der Meinung, dass der bürgerrechtlich-alternative Ansatz in der Partei gestärkt werden muss. Wir Grünen wollen auch eine laute Stimme erheben für diejenigen, die ihren ganz individuellen Lebensentwurf realisieren möchten. Das fängt bei Schwulen und Lesben an, geht über Drogenkonsumierende und WagenburgbewohnerInnen und hört bei “Dicken Kindern” noch lange nicht auf. Ich bemerke einen stärker werdenden paternalistischen Flügel bei den Grünen, eine Strömung, die Menschen zu sehr ins Leben pfuschen will und nicht akzeptiert, dass auch vermeintlich ungesundes Leben ein selbstgewähltes und bewusstes Leben sein kann.

    Versteht mich nicht falsch: Ökologische Fragen müssen von oben herab geregelt werden. Hier sind sogar noch strengere Regelungen nötig. Es hat wenig mit Individualismus zu tun, wenn Person A mit einem 20-Liter-Auto über die Autobahn braust und dies als Selbstverwirklichung bezeichnet.

    Jedoch müssen wir uns ernsthaft an unsere freiheitlichen Wurzeln erinnern und deutlich machen, dass wir eine Alternative sind. Für alle, die ihr Leben kreativer und unabhängiger vom Einheitsbrei leben wollen, als es die spiessige deutsche Wirklichkeit ermöglicht.

    Auch die Thematik “Multikulturelle Gesellschaft” ist ein ur-grünes Thema. Dass Renate Künast hier jetzt weit hinter grüne Programmatik zurückrudert, um die Partei schwarzgrünreif zu schiessen, ist auch Sicht einer Fraktionsvorsitzenden, die möglichst schnell wieder auf der Regierungsbank sitzen möchte, verständlich – der Partei und vor allem dem Ziel einer offenen, pluralistischen Gesellschaft nützt dies doch wenig.

    Anstatt sich auf Teufel komm raus den Konservativen anzubiedern, würde die Bundestagsfraktion gut daran tun, auch ihrerseits grüne Inhalte zu erneuern.


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3 Responses to “Nach Jamaika vielleicht – aber nicht mit der Concorde!”

  1. Volle Zustimmung für die Position des BuVo!

    Es ist schon frustrierend, dass die einzige Möglichkeit einiger Menschen in dieser Partei, diese interessant zu machen, darin besteht, solche unnützen Koalitionsdebatten zu Unzeiten zu führen. Faktisch steht die Debatte *nirgends* an, was soll das also??

    Offenkundig: Es geht darum, die Grünen und ihr (größtenteils noch immer – daran hat auch die oft grob fahrlässige Politik der sieben Jahre Rot-Grün nix geändert) links-alternativ orientiertes Klientel endgültig zu “verbürgerlichen”, sprich in den bürgerlichen Grundkonsens einer nationalen, leistungsorientierten, mehrheitskulturellen Richtung zu absorbieren. Wenn KGE z.B. sagt, die Grünen könnten in einer Schwampel die “Rolle des sozialen Gewissens” übernehmen, deckt schon die Wortwahl alles auf: wer eine Rolle spielt, *spielt* eben nur. Ich wäre dafür, dass die Grünen das ökologische und soziale Gewissen dieses Politischen Systems *sind* – und zwar *egal* in welcher Koalition oder Opposition!

    Julia und Ario haben Recht, seit der Regierungszeit ist vor allem die innerparteiliche Streitkultur völlig über den Jordan gegangen. Leider hat sich das seit der BTW 2005 nicht, aber auch gar nicht geändert. Im Gegenteil: Wir sind ja soooooo wichtig, dass wir auf keinen Fall unseriös oder zerstritten rüber kommen dürfen, denn das wäre ja “ein Rückfall in alte Zeiten, den die Grünen längst überwunden haben”…

    Pfff, Schmarrn. Wenn die Grünen nicht aufpassen, werden wir bald nüscht mehr zu sein haben, die 5%-Hürde ist schnell mal unterschritten, siehe 1990. Und nur weil wir gerade (Große Koa-bedingte) gute Umfragewerte haben, heißt das mitnichten, dass das links-alternative, ökologisch, sozial und demokratisch verantwortungsbewusst motivierte Milieu immer den Grünen treu bleibt. Die Erosionsbewegungen sind ja schon seit einiger Zeit spürbar. Und man sollte ja nicht zwischen “guten” und “nicht so guten” Mitgliedern unterscheiden, aber ich finde es schon einen Jammer, dass die hoch-politischen Jugendlichen aus der Antifa, Frauenbewegung, globalisierungskritischen Bewegung etc. immer seltener zu uns kommen, ja oft sogar als Ansrechpartnerin unter den Parteien ablehnen.

    Wenn Matthias Berninger & Co. eine solche Partei wollen, werden sie sehr schnell ihre so hart erarbeiteten (sic!) Mandate verlieren – und mit ihnen die gesamte Grüne Partei. Die Grünen haben (immer weniger, aber immer noch zumindest ein wenig) den Hauch des Rebellischen, Unkonventionellen, antiautoritär-Spannenden – auch wenn wir gerade dabei sind, diese Rolle vollends an die Linkspartei zu verlieren.

    Wenn wir diese Möglichkeit, Politik aktionsorientiert und auch aus der Opposition heraus zu verändern, aufgeben, werden wir eine langweilig-biedere kleine unbedeutende Partei, die in der Tat niemand mehr braucht.

  2. Und bei Berninger nicht vergessen: Ja zu Studiengebühren (auch wenn “seine” hessische LMV klar dagegen war …)

  3. Und bei Berninger nicht vergessen: Anti-Dicken-Kampagne, Anti-RaucherInnen-Politik (bei seiner Quiekstimme sollte er besser mal ordentlich quarzen)