Julia Seeliger
  • Sex 2.0 – Der lange Schwanz von Gayromeo

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    15. January 2008 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Ein Video über soziale Netzwerke, insbesondere über schwule Communities – aus der schwul-männlichen Sicht – findet sich bei der TU Ilmenau. Beim 24C3 hat Florian Bischof einen ganz interessanten und amüsanten Vortrag zum Thema “Geschlechter, Homosexualität und Web 2.0” gehalten – kurz: “Sex 2.0 – Hacking Heteronormativity”.

    Zitiert wird die Schriftstellerin und Anarchistin Starhawk.

    Im Patriarchat werden Männer verspottet oder als Schwächlinge betrachtet, wenn sie weibliche Eigenschaften zeigen. Politiker gewinnen Wahlen mit Härte (Härte in Bezug auf Terror, Kriminalität, Drogen, Mütter, die von Sozialhilfe leben). Der Ruf nach Zusammenarbeit, Verhandeln, Mitgefühl oder dem Erkennen unserer gegenseitigen Abhängigkeit wird mit weiblicher Schwäche gleichgesetzt.

    Im Namen der Härte berauben die Macht-Ausübenden die Armen ihrer Lebensgrundlagen, die Bekümmerten und Kranken der Behandlung und Fürsorge, den Durchschnittsbürger seiner Privatsphäre und seiner politischen Rechte. Auf Konflikte und soziale Probleme reagiert das Patriarchat mit Zwang, Bestrafung und Gewalt.

    Sehr interessant: Hacker befassen sich inhaltlich mit Geschlecht. Als Beispiel für Rückzugsräume gegen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts werden Frauenhäuser genannt, als weiteres analoges Beispiel genderspezifischer sozialer Netzwerke die “Ghettoisierung” der Schwulenszene. Früher war es als Schwuler nicht möglich, einfach andere Schwule kennenzulernen – auch das Dr.Sommer-Team verwies Fragesteller an die “Klappen”: Bahnhofsklos und Schwimmbäder. Als George Michael 1998 an einer solchen “Klappe” festgenommen wurde, wurde das Phänomen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Durch das Internet wurde es möglich, Kontakte zu knüpfen, Schwule fingen sehr früh (um 1998) damit an. Hetero-Männer benutzen das Netz damals vor allem, um Pornos zu laden.

    Im weiteren Verlauf des Vortrags geht’s dann ganz konkret um gayromeo und Co. Gayromeo gilt auch als “das schwule Einwohnermeldeamt”: Jeder neunte männliche Einwohner von Berlin-Mitte hat bei gayromeo ein Profil.

    Die Plattformen erreichten an einem guten Abend locker die 100.000er Marke, das liege daran, dass es eben hier mehr als nur ums Ficken gehe. Man könne sich in den schwulen Dating-Communities vielmehr die kleinen Nischen innerhalb der Subkultur suchen, ob es nun eine schwule Häkelgruppe sei oder schwule Fußballfans. Anhand von gayromeo-Gruppen wie Nazi-Gruppen oder Kastrationsgruppen stellt Florian Bischof die Frage der Sozialen Verantwortung, die soziale Netzwerke – nicht nur die schwulen sozialen Netzwerke – haben.

    Vor allem ging es aber um die Vorreiterrolle, die gayromeo und Co. haben. Die komplette Szene setze inzwischen auf derartige Kommunikationsmedien – für Bischof sind die schwulen Datingcommunities bedeutsamer als die Tatsache, dass man heute bei Amazon Bücher kaufen könne, die Schwulen-Plattformen – mit ihren bis ins Kleinste ausdifferenzierten Sub-Szenen – seien gar der Inbegriff des “Langen Schwanzes.

    Long Tail (englisch für „langer Schwanz“) ist eine Theorie, die der US-amerikanische Journalist und Chefredakteur des “Wired Magazine” Chris Anderson 2004 vorstellte, nach der ein Anbieter im Internet durch eine große Anzahl an Nischenprodukten Gewinn machen kann. Dieser Effekt trifft insbesondere für den Musik- und Bücherverkauf zu, wo selten verkaufte Titel in einem konventionellem Verkaufsgeschäft zu hohe Kosten verursachen würden. Der Name leitet sich von der Ähnlichkeit der Verkaufsgrafik mit einem langen Schwanz ab.

    Kurz: Es handelt sich hier um eine “Demokratisierung der Produktionsmittel”. Über diese Theorie sollten vor allem WirtschaftspolitikerInnen mal drüber nachdenken.

    Zurück zum Vortrag: Nebenbei wird noch die These aufgestellt, dass weiblicher Sex komplizierter sei als männlicher – da kann man ja auch trefflich drüber streiten. In der Diskussion wurde auch genau an dieser Stelle kritisiert, Florian würde die Heteronormativität ja genau an dieser Stelle reproduzieren und die weibliche Sexualität nicht ernst nehmen. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings folgendes Ralf-König-Zitat:

    Erzähle mir keiner, dass Heteromänner grundsätzlich und libidinös anders drauf sind als Schwule! Denn täglich sind die Eier dick, aber Heteromannen im Saft müssen sich nun mal mit der Tatsache herumschlagen, dass Frauen in aller Regel anders ticken als sie. Aber gäbe es, sagen wir in Osnabrück, einen Stadtpark, in dem nachts Frauen rumstreunten und Männer zum Sex suchten, ohne Geld, aus reiner Lust am Schweinkram – Osnabrück bräuchte drei neue Autobahnabfahrten!

    Gelächter.

    Letzter noch interessanter Aspekt der Diskussion war noch ein kleiner Spontanvortrag über “Sex 1.1” – Sex im Usenet, Stichwort de.talk.sex und de.talk.liebesakt. Google habe das am weitesten zurückreichende Archiv davon aufgekauft, dort waren die Heteros offenbar in der Überzahl, Hetero-Frauen waren allerdings in der Minderheit und konnten offenbar in dieser “Nische” “viele aufregende sexuelle Kontakte” finden. Weil Frauen dort eben in der Minderheit waren, entschied sich die (männliche) Person dann auch dafür, sich lieber den Männern zuzuwenden. Er widersprach auch der Darstellung Florian Bischofs, dass die Schwulen die Allerersten so richtig Aktiven im Netz gewesen wären, Pioniere beim Sex im Netz seien eher die “Polys” gewesen und die BDSM-Szene.

    Weitere Videos vom 24c3 finden sich auf den Seiten des Chaos Computer Club. Markus Beckedahl hat außerdem beim 24c3 ein paar neue Folgen von NetzpolitikTV produziert.


    Einsortiert: gender, netz


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16 Responses to “Sex 2.0 – Der lange Schwanz von Gayromeo”

  1. so einen schweinischen Kram habe ich ja schon lange nicht mehr gelesen, schaemt euch was und ich habe die Gruenen immer fuer brave Buerger gehalten, ha, alles nur Heuchelei, wisst ihr was damals der Fuehrer aus euch Schlingeln

  2. Ja, das wissen wir.

  3. Paulchen Panter

    Hetero-Männer benutzen das Netz damals vor allem, um Pornos zu laden.

    Glücklicherweise wehren sich immer mehr schwule Männer gegen implizierte “positive” Zuschreibungen.

    Das macht es natürlich schwieriger, die eigene advantgardistische Identität durch platte, moralisch besetzte Essentialisierungen zu legitimieren.

  4. Paulchen Panter

    Hetero-Männer benutzen das Netz damals vor allem, um Pornos zu laden.

    Glücklicherweise wehren sich immer mehr schwule Männer gegen implizierte “positive” Zuschreibungen.

    Das macht es natürlich schwieriger, die eigene advantgardistische Identität durch platte, moralisch besetzte Essentialisierungen zu legitimieren.

  5. Ich hab in diesem Fall wirklich nur aus dem Vortrag zitiert. Kannst du deine Kritik noch mal klarer formulieren (ich kann mir nämlich vorstellen was du meinst und verweise deswegen darauf, dass ich dies nur aus dem Vortrag zitiert habe)

    Wenn du deine Kritik deutlicher machen würdest, könnten nämlich alle Mitlesenden von dir auch etwas lernen.

  6. (Meine Kritik bitte ich als auf Tendenzen gerichtet zu betrachten)

    Ich finde die Aussage, heterosexuelle Männer hätten das Netz damals vorwiegend dazu benutzt um Pornos zu laden, aus drei Gründen problematisch:

    – Sie ist grob falsch.

    – Sie impliziert, dass heterosexuelle Männer das Wesensmerkmal haben, lieber Pornografie zu konsumieren als Communities aufzubauen und zu pflegen.

    – Jede Aussage, die explizit zu heterosexuellen Männern getroffen wird, impliziert natürlich eine Aussage zu Wesensmerkmalen von homosexuellen Männern.

    Abgesehen davon, dass ich als heterosexueller Mann nicht gerade davon begeistert bin, dass mir da ganz platt (und mit moralischem Beigeschmack) etwas zugeschrieben wird, finde ich es ziemlich bedenklich homosexuellen Männern überhaupt irgend etwas zuzuschreiben. Schwulen Männern insgesamt positives anzudichten macht sie eben auch zu “Anderen”.

    Es mag kleinkariert erscheinen, sich an dem einen Satz hochzuziehen, aber ich finde es eine weitverbreitete Torheit, sich als gesellschaftskritisch zu betrachten und sich vom “Mainstream” abzuheben, indem man einfach Vorurteile oder Moralvorstellungen (im Sinne von “wie man zu sein hat, um ein guter Mensch zu sein”) umkehrt.

    Man tut niemanden damit einen Gefallen. Jeder, der Vorurteile hat, wird prüfen, ob das positive Vorurteil (oder die Idee davon, was “besser” ist) nun stimmt oder nicht – Anstatt zu überlegen, ob es überhaupt richtig und sinnvoll ist, Menschen nach solchen Kriterien zu beurteilen. Deshalb finde ich “positive” Vorurteile fast genauso fatal wie negative.

    Das Elend der Welt am “Patriarchat” und an “hegemonialer Männlichkeit” festzumachen finde ich ebenso problematisch. Das legt nahe, das die an den Schweinereien auf der Welt beteiligten Frauen keine “richtigen Frauen” (bzw. unweiblich) sind, sie hätten sich ja demzufolge “männliche” Eigenschaften zugelegt. Ich persönlich finde Condolezza Rice nicht gerade irgendwie unweiblich, und sie zeichnet sich auch nicht durch machohafte Härte aus. Menschen bestehen doch aus wesentlich mehr als “Männlichkeiten” und “Weiblichkeiten”.

    Ich habe erst jetzt die Zeit gefunden, mir das Video anzusehen. Ich habe den Satz ganz anders verstanden: Da Frauen im Netz damals gar nicht präsent gewesen seien, hätten sich die sexuellen Aktivitäten der heterosexuellen Männer im Netz (zwangsläufig) darauf beschränken müssen, Pornos zu laden. (Ich habe da eine gewisse Ironie herausgehört) Das heißt: Das Netz war damals für Heteros ein asexueller Raum.

  7. Paulchen, finde ich sehr spannende Ideen und stimme in weiten Teilen zu – Stimme übrigens auch zu, dass es allenfalls um Tendenzen geht. Aber genau die sind’s natürlich, die man sich bewusst machen muss.

  8. Man könnte natürlich argumentieren, ausgegrenzte Gruppen müssten ein positives “Wir” schaffen, um ein Bewußtsein zu entwickeln, und um politisch handeln zu können. Dazu müssten den Ressentiments zwangsläufig positive Vorurteile entgegengesetzt werden. These, Antithese, Synthese käme man dahin, dass – in diesem Fall – Heteronormativität verschwindet..

  9. ..was ich auch nicht völlig abwegig finde.

    Es ist schwulen Männern auf eine sympathische und unüberhebliche Art gelungen, einen Nimbus von Kreativität, Freiheit und Lebensfreude aufzubauen.

    Man sollte vielleicht einfach nur stets im Hinterkopf haben, dass nicht alle schwulen Männer den ganzen Tag auf dem CSD feiern und tolle Klamotten designen. Viele sind einfach nur genauso langweilige Stinos wie du und ich, und manche gehen gar in den Container und reisen mit einem Guidomobil herum 😉

  10. Also wirklich Leute…

    Sex ist das Onlinegeschäft Nummer 1 !!!
    Es wird nirgends mehr Geld ausgegeben als in dieser Branche…

    Jasso

  11. Unstrittig!

  12. im großen und ganzen kann man sagen, jeder hat doch ein bisschen recht !! da aber doch bei jedem kommentar (wiedermal) eine zu “schlimme” standartisierung zu tage tritt, fühle ich mich in gewisser weise dazu verleitet meine meinung kund zu tun: Liebe Gesprächsinteressenten, es wäre doch sehr wünschenswert,(ich möchte es mal so formulieren) wenn nicht jeder homo- bzw. heterosexuelle mit “anderen” in einen Topf geworfen werden würde! mir ist klar, dass oft versucht wird ein gewisses “schubladendenken” aufrechtzuerhalten. doch ist dies, meiner meinung nach, nicht zielführend, da wir uns (durch unseren individualismus) doch frappierend voneinander unterscheiden !! Ferner ist mir auch klar, dass versucht wird eine einheitliche “Norm” zu kreieren, um eine Art durchschnittswert herauszufiltern! NUR: 1. jeder mensch hat (auch wenn es sich nur im kleinstbereich unterscheidet) seine eigenen, von anderen unabhängigen, interessen! 2. jeder mensch hat andere vorlieben! darum auch hier ein aufruf nicht nur an vertreter der schwulen&lesbenrechte, sondern auch an diese die dafür einstehn selbige zu denoncieren !! -> steht für EUCH ein und ergreift nicht partei für eure “schützlinge” !! wenn sich jeder um sich kümmert, ist für alle gesorgt !
    Danke

  13. Schwänze müssen gelutscht werden mit Sperma sind gut für Frauen und Männer
    Risiko istklar

  14. Also als Schwuler und User von Gayromeo, behaupte ich dass ebensoviele Pornos von uns gedownloaded werden wie von Heteros,natürlich nicht die selben;-)!Dass es bei Gayromeo Gruppen wo sich Skinheads treffen weiss ich wobei allerdings derjenige,nach seinem Profil,der linken Redskinszene angehörte,welches ich bei Gayromeo sah.
    Im übrigen gibt es bei Gayromeo auch Kontrollmechanismen die zum Ausschluss von Usern bzw.zum Löschen von Profilen kommt,sodass die Möglichkeit der Kontrolle durch die anderen User besteht.
    Ich muss allerdings zugeben das ich mich selbst noch nicht mit der Möglichkeit rechtsradikaler Gruppen oder Usern bei Gayromeo,welche es sicherlich wie bei vielen grösseren Gruppen der Gesellschaft,als Spiegelbild dieser,auch dort gibt,beschäftigt habe.
    Dieses werde ich aber noch nachholen.

  15. Nieder mit den Schubladen!Auf mit dem Denken!(siehe Kommentar oben)Genau,Flummi!

  16. Letzter noch interessanter Aspekt der Diskussion war noch ein kleiner Spontanvortrag über “Sex 1.1″ […] Er widersprach auch der Darstellung Florian Bischofs, dass die Schwulen die Allerersten so richtig Aktiven im Netz gewesen wären, Pioniere beim Sex im Netz seien eher die “Polys” gewesen und die BDSM-Szene.

    Du unterschlägst eine wichtige Gruppierung, die er auch genannt hat: Die Jungenliebenden. Die Bedeutung des Netz für eine stigmatisierte und diskriminierte Minderheit wie Päderasten, Pädophile, Ephebophilie und Hebephilie ist kaum zu unterschätzen. Nein, damit meine ich nicht Kinderpornographie und auch nicht das Anmachen von Kindern über das Netz. Sondern dass es das Netz Jungenliebenden möglich macht, trotz der massiven gesellschaftlichen Diskriminierung sachliche Informationen und kompetente Hilfe auf Seiten wie ITP arcados zu finden, dass man im Jungsforum tatsächlich Leute finden kann, die genauso fühlen wie man selbst. Das ist der wahre lange Schwanz von Anderson.