Julia Seeliger
  • “Gegen unsere Lebendigkeit seid ihr machtlos”

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    13. November 2008 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Vor zwei Tagen hat der Castor die Tore des Zwischenlagers in Gorleben passiert. Mit Erreichen der Ziellinie stand fest: Das war Rekordzeit! 79 Stunden hatte der Transport von Frankreich ins Wendland gebraucht, so lange wie nie zuvor.

    Zu diesem Zeitpunkt war unsere Bezugsgruppe (Name: “Steuerfahndung”) schon wieder auf dem Heimweg. Nach der Auflösung der Blockade war ich mit Freunden in unser Camp zurückgegangen und hatte mich umgezogen, geduscht und meine Zähne geputzt – das war’s. Zwei Nächte Schlafen auf der Straße zu den Klängen von “Radio Freies Wendland” und des Lautsprecherwagen der JG Jena, Leben unter Planen und Waldwanderungen waren vorbei. Keine Vollverpflegung mehr, aber auch kein Regen mehr und keine kalten Füße – am Ende kommt immer die Zeit, nachzubereiten.

    Staat und Zivilgesellschaft achtsam im Dialog

    Staat und Zivilgesellschaft achtsam im Dialog

    Berichte von Bärbel Höhn (und anderen aus der Bundestagsfraktion), sowie von Astrid Rothe-Beinlich und Malte Spitz habe ich schon gesehen, das bewegungsgruen-Statement ist ebenfalls fertig gestellt. In meinem Bericht beschränke ich mich auf persönliche Erfahrungen in der Ich-Form, dazu kommen einige Gedanken zu Aktivismus, sowie zu den Statements des niedersächsischen Innenministers Schünemann und zu den Bemerkungen zweier Polizeigewerkschafts- Vorsitzenden.

    Mobilisierung über das Internet: bewegungsgruen.de

    Im Vorfeld hatten wir, eine Gruppe grüner Mitglieder, über bewegungsgruen.de grüne Mitglieder für die Proteste mobilisiert. Dies tat parallel auch die Bundespartei, und es hat wirklich toll geklappt, viele Grüne für die Teilnahme an der Demonstration zu motivieren. Uns von bewegungsgruen ging es aber auch um die Blockaden: Möglichst viele grüne Mitglieder, und vor allem auch die “Promis”, sollten sich aktiv an den gewaltfreien Sitzblockaden von X-Tausendmalquer beteiligen. Wir entschieden uns für einen Aufruf, der im Internet unterschrieben werden konnte. Hierfür installierte ich ein WordPress-Blog und peppte es mit diesem Petitions-Plugin auf, als Theme wählte ich “Emptiness”. Insgesamt haben über 600 Leute unterschrieben, ein Teil davon hat auch Geld gespendet, wovon eine große Anzeige in der “taz” finanziert wurde.

    Begegnung mit der Polizei? Lieber vorher üben!

    Zum ersten Mal erlebte ich ein Blockade-Training – bei den Blockaden beim G8-Gipfel hatte ich es noch ohne geschafft. Das Blockade-Training war eine gute Vorbereitung, wir lernten dort zum Beispiel den “Blockadesitz” zum “besonders gut weggetragen werden können”. Außerdem wurde deutlich gemacht, welche Eskalationsstufen beim zivilen Ungehorsam möglich sind und was passieren kann, wenn man sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält, zum Beispiel, wenn man sich bei einer Sitzblockade beim Nachbarn einhakt oder gar nach den Polizisten tritt.

    Niemand alleine lassen: Problemlösung über Konsensverfahren

    Bereichernd war, dass mir zum ersten Mal jemand die hinter einem Konsensverfahren stehenden Gedanken und Methodiken erklärte. Meine letzte Begegnung mit diesem Prinzip war vor vielen Jahren in meiner Bonner WG, als ein Mitbewohner ein mir völlig unverständliches Veto einlegte. Entscheidungsfindung nach einem genau systematisierten Konsensverfahren ist in brenzligen Situationen, in denen es darum geht, niemand alleine zu lassen und dennoch zeitnah zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen – wie zum Beispiel eine Sitzblockade – der aus meiner Sicht einzige gangbare Weg. Für den parteipolitischen Alltag oder auch das Leben in einer WG finde ich es weniger angebracht, ich freue mich aber auch auf Gegenargumente.

    “Wir wollen euch sitzen seh’n”: Blockade ging direkt nach der Demo los

    Die Demo war bunt, grün und ziemlich groß. 16000 Leute sollen es gewesen sein. Wie viele Grüne es waren, weiß ich nicht, es werden aber mehrere Tausend gewesen sein. Fotos aus dem “Grünen Block” findet ihr bei Flickr, dort gibt es auch einen Pool “Castor 2008”.

    Direkt vor dem Zwischenlager Gorleben schlängelte die Demo vorbei – diese Gelegenheit durfte man doch eigentlich nicht verstreichen lassen… Und es klappte wirklich! Ab etwa vier Uhr wurde es spannend – zu diesem Zeitpunkt tauchten plötzlich “die gelben Zettel” auf. Gelbe Zettel mit der Aufforderung: “Bleibt mit uns hier – Die Blockade startet jetzt”. Zum Glück hatte ich meinen Rucksack dabei, den nahm ich ab und setzte mich hin.

    Stephan Schilling und ich in der Blockade vor dem Zwischenlager Gorleben

    Stephan Schilling und ich in der Blockade vor dem Zwischenlager Gorleben

    Und da sollten wir alle dann auch erst einmal bleiben. Bis zur Räumung am Montag, früher Nachmittag, entwickelte sich vor dem Zwischenlager Gorleben ein Protestcamp für kälteresistente Demonstrant/innen. Wir wurden rundum versorgt durch das Logistik-Team, das uns Decken und Verpflegung brachte – dafür ein Riesen-Dankeschön, wir mussten uns wirklich um nichts kümmern und konnten uns aufs Blockieren konzentrieren.

    Grüne Promis mit bei den Blockaden dabei – und es hat Spaß gemacht!

    Es war sehr schön, viele alte und neue Freund/innen zu treffen und zusammen mit ihnen gegen Atomkraft zu demonstrieren. Auch war es sehr ermutigend zu sehen, dass gar nicht so wenige Vertreter/innen der Bundestagsfraktion, der niedersächsischen Landtagsfraktion und der Parteispitze mit uns in der Kälte vor dem Zwischenlager übernachteten oder auch früh morgens um sechs wiederkamen. Einer hat mir ganz am Ende gesagt: “Es hat richtig Spaß gemacht!”. Dankenswert überdies, dass einige Promis noch zu den Schienenblockaden fuhren und zusammen mit den Journalist/innen die Polizeieinsätze beobachteten.

    Neue Aktivisten-Generation

    Malte Kreutzfeldt hat in seinem Artikel “Jung. Cool. Gegen Atom” eine neue Protest-Generation ausgemacht, die vor allem durch die erfolgreichen Proteste in Heiligendamm für Aktionen zivilen Ungehorsams mobilisiert wurden.

    Junge Menschen zwischen 15 und 30 haben die Massen-Sitzblockade als ihre Protestform wiederentdeckt – und ins neue Jahrtausend geholt. Die Kommunikation der Teilnehmer läuft nicht nur basisdemokratisch über “Bezugsgruppen” und “SprecherInnenräte”. Für die Koordination gibt es Massen-SMS-Verteiler. Bei der Blockade werden die Ansagen aus der Mitte der Aktivsten per Funkmikro in die drumrum stehenden Lautsprecherwagen übertragen; für alle, die nicht dabei sein können, gibt es einen Live-Ticker im Internet. Während unter den OrganisatorInnen der Blockaden viele Aktive mit langjährigen Erfahrungen sind, gibt es unter den Teilnehmer viele, die zum ersten Mal in Gorleben mitmachen. Ohne Protesterfahrung sind sie aber dennoch nicht. Schlüsselerlebnis, so ist bei der Blockade immer wieder zu hören, waren die G-8-Proteste im vergangenen Jahr in Heiligendamm.

    Kreutzfeldt analysiert auch die Merkmale dieser “neuen” Art des Protests:

    Großer Vorteil dieser Aktionsform ist, dass sie einerseits ein sehr viel deutlicheres Zeichen setzt als eine klassische Demonstration: Man ist bereit, für das politische Ziel Regeln zu brechen und Konsequenzen zu tragen. Zugleich ist das Risiko bei Blockaden auch für weniger Erfahrene überschaubar, und das Bild, das sie vermitteln, ist positiv und friedlich. Denn auch das ist ein Erkennungsmerkmal der neuen Aktionen: Sie arbeiten – im deutlichen Gegensatz etwa zu Autonomen der 80er und 90er – offensiv mit den Medien und bemühen sich aktiv darum, schöne Bilder und klare Botschaften zu vermitteln.

    Hilfreich: Neue Technologien, juristische Grundkenntnisse und eine moderne Polizei

    Alles also Ausdruck der Mediendemokratie und brandneu – oder gab es derart “bewusstes”, “kontrolliertes” Blockieren mit genauer Kenntnis von Gesetzen und einer genauen Definition im Vorfeld, wie weit man bei der Aktion gehen möchte, nicht auch schon in den 80er-Jahren? Ich war ja damals nicht dabei, mich würden Einschätzungen von Menschen, die damals an derartigen Aktionen teilgenommen haben, ernsthaft interessieren. Es ging in Gorleben ja sogar so weit, dass die Demonstrant/innen bei der Auflösung der Blockade den Polizist/innen erfolgreich erklärten, dass sie im Training den “Blockadesitz” erlernt hätten und wie es am besten funktionierte, sie zu tragen. Zweifellos neu hinzugekommen sind neue technische Entwicklungen wie zB das Handy. Den Einfluss von Technik auf Aktivismus sollte übrigens mal jemand genauer wissenschaftlich oder journalistisch beleuchten, das fände ich sehr spannend.

    Aktivismus und Technik – ein spannendes Thema!

    Anderes Beispiel für eine sehr kontrollierte, technisch-kreative und durchdachte Art zu demonstrieren waren die Aktionen der Bauen. Sie betonierten sich in Pyramiden ein – die waren aber nicht etwa bloße Betonklötze wie vor zwei Jahren…

    … die Bauern haben dazugelernt. Diesmal ist die Pyramide zweigeteilt: Unter einer äußeren Schicht befindet sich ein innerer Kern. Die Arme der Blockierer gehen durch ein Rohr in der äußeren Schicht in den inneren Block, wo sie mit einem Vorhängeschloss an einer Metallstange fixiert sind. Würde die Pyramide auch nur ein kleines Stück angehoben, würden die Arme der Blockierer abgetrennt.

    So zu lesen in “Betonprofis unter sich” – ebenfalls erschienen in der “taz”, die übrigens am Castor-Montag so viele Klicks hatte wie nie zuvor. Das liegt sicherlich an den vielen gut informierenden Artikeln, die in einem tollen Castor-Dossier zusammengefasst sind. Informativ ist auch die Castor-Presseschau auf n-tv.de mit vielfältigen Reaktionen auf die überraschend kraftvollen Proteste.

    Schlechte Laune bei Innenminister und Polizeigewerkschaften

    Abgesagt werden musste die für Montag früh angesetzte Pressekonferenz des niedersächsischen Innenministers Schünemann. In dieser Pressekonferenz wollte er seine Bilanz zum Castor-Transport mitteilen. Schade nur, dass der Castor um diese Uhrzeit noch gar nicht im Zwischenlager angekommen war. Diese Absage wird seine Laune nicht verbessert haben – mit schlechter Laune lässt sich auch Schünemanns abseitige Forderung, die Demonstrierenden in Zukunft an den Kosten für den Protest zu beteiligen, irgendwie noch begründen – er ist ja auch nur ein Mensch.

    Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) meldete sich zu Wort: Ihr Bundesvorsitzender Freiberg ist überzeugt: “Reisende Gewalttäter haben die Anti-Atomkraftbewegung als neues Betätigungsfeld für sich entdeckt.” Diese Behauptung möchte ich gerne mal belegt sehen.

    Zweifelhafte Beurteilungen – Den schwarzen Peter für den schwarzen Block

    Überhaupt schätze ich, dass die meiste Zeit nicht von den so genannten “Reisenden Gewalttätern” – damit meint Freiberg wahrscheinlich den so genannten “Schwarzen Block” – sondern von den Einzelblockadeaktionen geschunden wurde, also von Aktionen wie denen in Wörth oder die der “Beton-Bauern”. Hierzu müsste man mal genauere Zahlen sehen. Natürlich hatten sowohl die Schienenblockaden, die Robin-Wood-Aktionen und auch die große und mehrere kleine Straßenblockaden Einfluss auf den neu aufgestellten “Stundenrekord” bei den Castor-Blockaden.

    Insgesamt waren es wohl auch einfach viel mehr Demonstrant/innen, als man eigentlich erwartet hatte. Deswegen sind auch Forderungen nach einem härteren Vorgehen, wie sie Herr Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) aufstellt, aus polizeitaktischen Gründen nicht sinnvoll. Es ist doch viel einfacher für die Polizei, wenn sie eine große Sitzblockade erst einmal zwei Tage machen lässt und sie dann Person für Person wegträgt, anstatt die Leute schon am ersten Tag zu verjagen oder alle in Gewahrsam zu nehmen. Irgendwann muss sie die Leute nämlich wieder frei lassen, und dann sind sie gleich wieder da – und bestimmt nicht besser gelaunt. Das nervt die Polizei doch auch, alle Beteiligten sind weniger locker, es kommt zu mehr Verletzungen und es müssen viele Papiere vollgeschrieben werden. Und nicht zuletzt: Ob ein härteres Vorgehen am Ende weniger Geld kostet als eine Deeskalationsstrategie, wage ich doch zu bezweifeln. Hinzu kommt der ganze Verwaltungskram und eventuelle Gerichtsverfahren – die dann meist eingestellt werden.

    Es ist wahrscheinlich verletzte Eitelkeit. Schönes Zitat von Herrn Wendt von der DPolG:

    Was sich hier abspielt, ist ein unerträgliches „Katz- und Mausspiel“, das wir uns nicht länger gefallen lassen. Ein konsequentes Durchgreifen ist unerlässlich, wenn sich der Staat nicht lächerlich machen will.

    Bild Räumung (oben): Hauke
    Bild Blockade (unten): gruene_in_gorleben Lizenz: CC-BY-NC-ND


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12 Responses to ““Gegen unsere Lebendigkeit seid ihr machtlos””

  1. Die Polizisten sehen aber ech nett aus. Posieren ja geradezu für das Foto.

  2. Guter Punkt – die Polizei hat sich zumindest bei unserer Blockade sehr korrekt verhalten. Da stimme ich den Leuten, die die Polizei im Nachhinein gelobt haben, explizit zu. Das Bild spiegelt die Stimmung, in der wir uns bei der Räumung befanden, ganz gut wieder. Natürlich wurde bei denjenigen, die sich eingehakt hatten, ruppiger vorgegangen. Manchmal klappte die Kommunikation zwischen Demonstrant/in und Polizist/innen nicht, dann wurden Leute schon mal runtergedrückt, ohne dass sie sich gewehrt hatten.

    In dem Artikel geht es mir auch um eine moderne Polizei. Die Forderungen nach “mehr Härte” finde ich unsinnig, ich will nicht zurück in die 80er, als man mit Dachlatten auf die Polizist/innen losging. Deswegen habe ich über die “neuen” (?) Formen des Aktivismus geschrieben und zudem die Bemerkungen der beiden Polizeigewerkschafts-Vorsitzenden aufgenommen.

    P.S. Bei dem Foto achte man auch auf die Gesichter der Kollegen Limburg und Kindler im Hintergrund. Schicker Schnappschuss, danke an den rasenden Reporter Hauke!

  3. Aber ist Gewalteinsatz nicht immer auch eine Frage der Situation und damit der Verhältnismäßigkeit? Ich werde den Eindruck nicht los, daß du etwas stark von einigen Beispieldemonstrationen aus verallgemeinerst.

  4. Was meinst du konkret? In bestimmten Situationen ist “Steine werfen” okay, oder was ist jetzt deine Position?

    Verzeih, wenn ich zu sehr verallgemeinere – das ist meine Art.

  5. Auswertung “Grün stellt sich quer!”…

    Die Anti-AKW-Bewegung ist wieder da. Intensive und erfolgreiche Tage im Wendland liegen hinter uns: 16.000 Menschen auf der Demo in Gorleben, über 1.000 gewaltfreie BlockiererInnen vor dem Zwischenlager, kreative Unruhe überall im Wendland und an vie…

  6. Ich meine, daß ich es merkwürdig finde, aus der Not, keinen Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten zu dürfen, eine Tugend zu machen. Grundsätzlich. Wobei ich das Ansinnen verstehe, so wenig wie möglich Gewalt anzuwenden.

  7. Den Herrn rechts habe ich schon mal gesehen. Wo kam der her?

    @classless
    Also Steinwürfe nur deshalb nicht, weil nicht legal, in höherem Maße strafbewehrt und in unangenehmer Weise agressionssteigernd bei den Staatsdienern?

  8. Steinwürfe sind ein sehr spezieller Fall. Die Frage ist doch, ob man sich schubsen und schlagen läßt oder nicht. Wenn sie’s tun.

  9. Schickes Foto, voll im Einsatz 🙂

    Im Vergleich zu den Kosten, die jetzt durch die Sicherung der “Endlager” Asse und Morsleben entstehen, sind die Castor-Transporte doch ein Schnäppchen. Asse und Morsleben zu sichern (falls es überhaupt klappt) kosten jeweils 2,2 Milliarden Euro!!

  10. Die Kostendiskussion wird doch völlig von der falschen Seite her geführt. Es ist doch Prima wenn das teuer wird. Irgendwann wird es dann _zu_ teuer. Das ist doch Sinn der ganzen Sache.

  11. Ich muss Gregor vollkommen recht geben die beiden sehen doch echt Nett aus…

  12. Hinsichtlich [q]Zweifellos neu hinzugekommen sind neue technische Entwicklungen wie zB das Handy. Den Einfluss von Technik auf Aktivismus sollte übrigens mal jemand genauer wissenschaftlich oder journalistisch beleuchten, das fände ich sehr spannend.[/q]

    -> http://mobileactive.org/ ist da ein interessantes blog.