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Eine Egotronic-Geschichte
13Länger hab ich mich nicht für die neueren Lieder der Elektropunk-Band Egotronic interessiert. Das ist seit gestern anders: Egotronic waren nämlich gestern in Bielefeld, wie ich über Twitter herausfand. Angekündigt wurde der Auftritt übrigens mit diesem niedlichen Poster:
Vor dem Auftritt war Torsun von Egotronic zusammen mit jemand von der Band Frittenbude und noch anderen Menschen im Bielefelder Hochschulradio Hertz 87,9 zu Gast und erzählten viele interessante Dinge zu ihrer Sommertour, ihrem gemeinsamen Label Audiolith und zur Geschichte (hoffentlich gibt es einen Podcast). In der Sendung wurde ein Lied vom aktuellen Egotronic-Album “Ausflug mit Freunden”, nämlich “Toleranz”, gespielt.
Klar, inhaltlich fundiert und vielschichtig, mit Szenebezug und kompromisslos – “Toleranz” ist ein großartiger Song.
Sicher, auch “Raven gegen Deutschland” hat seine Qualität und ich kann nicht sagen, dass ich es nicht häufig gespielt oder dazu nicht gern getanzt hätte. “Raven gegen Deutschland” verbindet ausgelassene Feierei mit einer einfachen politischen Botschaft, es stiftet (politische) Identität. Ähnliches gilt für “Ten German Bombers”, das während der Fußballl-WM 2006 ein Hit war, unter anderem bei englischen Fußballfans.
Mangelnde Kritik an “Identität” und an Massenbewegungen müssen sich Egotronic nicht vorwerfen lassen. Torsun beschrieb Musik bei der Bundeszentrale für politische Bildung mal als “faschistisch” und stellte überdies die These in den Raum, dass er nicht “an das Konzept Protestsong” glaube, es für ihn keine “linke und rechte Musik” geben könne, wie es auch generell kein linkes Produkt geben könne.
Ganz schön agitatorisch fühlte ich mich in der Tat beim Auflegen, zum Beispiel auf Grünen-Parteitagen. Man macht Musik an und, wenn man nicht zu arge Fehler macht, schreien die Leute und freuen sich – So einfach ist das! Mit großer Freude spielte ich da auch Egotronic, gern “Raven gegen Deutschland” und natürlich *kreisch* – “Die Partei”.
“Die Partei” – hier in einer Live-Version (MP3, 2,9 MB) mit einem auf das Intro gesprochenen Text “Man hört hier … leichte Kosovo-Krieg-Attacken … wir haben dazu auch eine Tanzeinlage einstudiert … “. Dazu passt gut das Lied “1999 – Jubel Trubel Discokugel” von der ebenfalls bei Audiolith angesiedelten Schweizer “Ravepunk”-Band Saalschutz. Einige Sequenzen in dem Musikvideo (direkt nach einer Anti-Atom-Demonstration werden Kriegsbilder gezeigt) sind wohl als (antideutsche) Kritik an den Grünen, die ja kurz nach ihrem Eintritt in die rot-grüne Bundesregierung den Kosovo-Krieg mitgetragen haben, zu deuten.
Noch einmal zurück zu “Die Partei”. Dieses Lied zählt zu den ersten Egotronic-Liedern, die ich hörte. Ein Freund wollte mir im Jahr 2005 Egotronic näherbringen und zeigte mir deren damalige Webseite, die in einer schönen Computerspielästhetik gehalten war. 2006 sah sie dann so aus:
Diese Version der Egotronic-Webseite aus dem Jahr 2006 ist bei der Wayback-Machine noch zu finden – darunter einige Soundfiles von damals.
Vom Zak-McKrackenhaften dieser Zeit erzählt auch dieses Video. (Im Übrigen das allererste überhaupt, und es wird in ihm “viel geraucht”.)
Bei einem Konzert im Festsaal Kreuzberg, ich glaube, es war Ende 2008, hatte ich mich mal ganz kulturpessimistisch über die Songauswahl beschwert. Es würden “nur noch die Lieder von dem neuen Album” gespielt. Wann käme endlich “Exportschlager Leitkultur”? War Egotronic gar im Mainstream angekommen?
Im deutschen Mainstream wird Egotronic wohl kaum ankommen und man sollte ja nun auch nicht fordern, dass Künstler nicht ihrer Sache auch beruflich, sprich mit einem angemessenen Einkommen, nachgehen dürfen. Im Übrigen scheint man beim Audiolith-Label recht fortschrittliche Einstellungen zu Geschäftsmodellen in digitalen und vernetzten Zeiten zu haben, wie dieses Spiegel-Online-Interview mit Audiolith-Gründer Lars Lewerenz vermuten lässt.
Spannend hierzu auch der Netzpolitik-Podcast ogg | mp3 mit Lars Lewerenz.
Ich selbst warte nun das nächste Egotronic-Konzert ab, wo ich mir vielleicht wieder ein T-Shirt kaufen werde, auf jeden Fall aber auch in der Masse der Antifa-Kids ein wenig hüpfen werde. Man braucht ja nicht immer so einen Luxus-Tanzplatz wie damals im Eel Pie …
… alles wird gut. Es wird Winter, man geht wieder in Clubs – und dann bestimmt wieder auch mal zu Egotronic-Konzerten. Selbst wenn “Exportschlager Leitkultur” nicht gespielt wird. “Toleranz” ist eine gute Ersatzdroge. Und hier ist der Originalstoff.
Du hast eine Egotronic-Geschichte zu erzählen? Dann beteilige dich beim Call for Egotronic-Storys. Mehr weiß Daniel Kulla
Begegnungen mit Egotronic, was ihr mal bei Konzerten erlebt habt oder davor oder danach, euer ganz persönlicher dreckiger Tratsch, richtige Argumente, Analyse und Kritik, Träume und Rauschassoziationen, kurz: Dinge, die ihr gern über Egotronic im Buch lesen würdet. Schwerpunkt und Erzählzeit des Buches ist das Jahr 2007, die Zeit vorher soll in Rückblenden vorkommen, alles seitdem wird eher weniger eine Rolle spielen. Wer sich etwas Zeit nehmen mag: was noch bis Ende September eintrudelt, werden wir noch berücksichtigen können.
Einsortiert: antifa, deutschland, musik, party
Verschlagwortet: egotronic, koksen kotzen grüne jugend
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13 Responses to “Eine Egotronic-Geschichte”
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Schöner Artikel und vor allem gut geschrieben!
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Schöner Artikel und vor allem gut geschrieben!
Danke! Die Fotos in deinem Blog sind aber auch schön.
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[…] via // […]
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schöner text! 🙂
exportschlager und die partei werden garantiert auch mal wieder gespielt. es ist nur so, dass ich sie selbst derzeit nicht mehr hören kann, aber das ändert sich in der regel wieder.
so rutschen immer mal wieder songs raus, die irgendwann wieder ins set kommen.cheers,
torsun -
Julia Seeliger
Ach ach … “Toleranz” ist doch ein großartiger Ersatz. Mindestens gleichwertig!
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[…] Pop: Eine Egotronic-Geschichte…Zeitrafferin […]
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Anne Kaffeekanne
Kennst Du eigentlich von egotronic den Track “Heimatschutzbund Anticastorbewegung”? Dieses Stück setzt die Antiatombewegung mit Nationalisten gleich. Sicherlich sind dir auch die nationalistischen (antideutschen) Positionen, das Abfeiern des Todes von Politikern (Möllemann) oder die ständige Teilnahme an entsolidarisierenden Spalteraktionen (z.B. venceremos) nicht entgangen? Die Bombardierung von Städten zu feiern (ten german bombers) finde ich auch kein Party-Thema, das ist doch sehr sehr billig. Torsun verkauft sein Programm als der lockere Kumpeltyp und tut so als ob er nicht merkt in welche Richtung diese Sache läuft, vielleicht ist er aber auch wirklich einfach zu blöd. Mittlerweile kenne ich etliche ältere ego-fans die sich gänzlich aus der politischen Linken verabschiedet haben, die finden Sarrazin geil und freuen sich wenn ein Castordemonstrant vor laufender Kamera ordentlich eins auf die Nase bekommt. Dazu kann ich nur sagen: Mein Spaß sieht anders aus ;-]
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Das ist bescheuert mit den Antideutschen und dem Castor. Finde ich auch. Und dieses Gezicke, man sei nicht mehr “links” (bei manchen Antideutschen) ist wirklich das aller-lächerlichtste.
Deswegen muss man aber nicht alles scheiße finden.
Und in dem Lied “Toleranz” finde ich mich gut wieder, sorry. Wobei ich nicht weiß, was das mit dem “Conny” bedeutet und ich auch gehört habe (bzw bei Youtube-Trolls gelesen), dass es das beste Lied von dem neuen Album sein soll und die anderen davon wesentlich abfallen. Bei mir isses halt das einzige.
Aber dieses “Früher war alles besser” – sowohl bei Egotronic als auch bei “den Antideutschen” – find ich n bissl lahm. Vor ein, zwei Jahren war das evtl. noch “angesagter”. Wobei ich kaum Einblick in Antifa-Strukturen habe, und die vielzitierten “antideutschen Blogs” lese ich auch nicht wirklich, insofern alles auch nur Mitmaßungen.
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Anne Kaffeekanne
Ich finde schon das man manchmal eine Band als Gesamtpaket ablehnen kann, vor allem wenn sie immer wieder gegen gegen Anti-Atomkraft-, Antifa- oder Globalisierungskritische Gruppen disst. Solidarität ist mir halt wichtig.
Dann ist da bei egotronic auch noch die fragwürdige “Attitüde”: Aktuell fordert Torsun auf seinem Blog mal wieder die Bombardierung Dresdens. Selbst wenn es zynisch wäre, was soll der Quatsch?
Und was die besungene Toleranz angeht: Noch nie gab es so viel Zensur in linken Einrichtungen wie heute und das ist mit der Hauptgrund warum sich die linke Szene so verdünnisiert hat und praktisch handlungsunfähig geworden ist und egotronic sind ideologisch damit voll auf einer Welle wenn sie die “richtigen Einstellung” einfordern. Das Conne (island) ist übrigens so ein Zentrum in Leipzig wo zig Bands Auftrittsverbot genießen weil den antideutschen Chefs irgendeine Textzeile nicht in den Kram passt. Im Vergleich dazu ist mir der 16jährige Onkelzshirt-Träger ehrlich gesagt ziemlich egal.
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Im Vergleich dazu ist mir der 16jährige Onkelzshirt-Träger ehrlich gesagt ziemlich egal.
Mir nicht.
Und ach ja: Ich hörte, es gäbe keine Audiolith-Bands auf der Fusion – weil “zu antideutsch”. Könnte aber auch andere Gründe haben. Weißt du mehr?
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Anne Kaffekanne
Der Unterschied zwischen dem 16jährigen Onkelzshirt-Träger und Auftrittsverboten: es ist die individuelle Entscheidung des Shirt-Trägers, er schadet damit erstmal niemanden und wenn es Dir nicht passt kannst Du hingehen und diskutieren. Ein Auftrittsverbot dagegen entzieht hunderten von Leuten ungefragt und quasi von oben auferlegt einen Teil der Kultur, außerdem hat es für die Bands mit Sicherheit auch negative wirtschaftliche Konsequenzen, d.h. solche Zensurmaßnahmen schaden vielen Menschen unmittelbar und teilweise erheblich. Deswegen halte ich von solchen Aktionen garnichts, ich würde das sogar als faschistoid bezeichnen, denn die Nazis sind ähnlich vorgegangen.
Du könntest jetzt argumentieren das es ja das gleiche sei, wenn die Fusion und auch viele andere linke Läden keine Audiolithbands spielen lassen, allerdings gibt es dabei einen gewaltigen Unterschied: Die Antideutschen lassen Bands auf Grund der falschen politischen Einstellung von vornherein nicht auftreten, die Fusion und linke Läden dagegen lassen antideutsche Bands nicht mehr auftreten nachdem es in der Vergangenheit schon zig Solidaritätsverletzungen gegeben hat, bis irgendwann dann das Maß an Toleranz voll gewesen ist. Solidarität scheint eh für viele ein kompliziertes Thema zu sein. Einfacher ausgedrückt: Weshalb sollte ich auf einer Antiatomdemo Musik von Bands spielen, die gegen die Anti-AKW-Bewegung hetzen und deren Fans -wenn viellicht auch nur als zynische antideutsche Spaßaktion- mehr Endlager in Deutschland fordern?
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Ich bitte um Belege. Ansonsten finde ich das mit dem Conny nicht besser als das bei der Fusion.
Ansonsten spiel ich die Musik, die mir gefällt. Kunst liegt im Auge (bzw. Ohr) des Betrachters, sprich: ich kann “Raven gegen Deutschland” spielen und damit den Atomstaat Deutschland kritisieren.
Im Übrigen, wie ich oben schon sagte, halte ich die Kritik an der Anti-Castor-Bewegung, die manche Antideutsche üben, für falsch. Das bedeutet nicht, dass man sämtliche Kritik für falsch halten muss.
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Anne Kaffekanne
Hier ein aktueller “Beleg” für Auftrittsverbote im Conne http://www.l-iz.de/Kultur/Musik/2010/09/Legenden-sterben-nie-Slime-20-November-Leipzig.html
Wenn Du googelst findest Du auch noch eine Menge mehr.Diese ohnehin schon krasse Zensur im Conne ging egotronic allerdings nicht weit genug, sie forderten noch mehr Zensur und weil das Conne dem nicht nach kam, boykottieren egotronic nun diesen Laden: http://www.conne-island.de/nf/159/5.html
An diesen Beispielen siehst Du: Das wesentliche Problem bei den Antideutschen liegt nicht in der falschen Kritik die sie üben sondern in der Entsolidarisierung, die immer dann erfolgt wenn die gewünschten “Mindeststandards” nicht eingehalten werden oder anders ausgedrückt: wenn etwas nicht 100%ig der eigenen Ideologie entspricht.
Unabhängig davon: Wie Du mit dem Auflegen einer Band die gegen Castorproteste hetzt den Atomstaat Deutschland kritsieren willst erschließt sich mir nicht wirklich, aber ich wünsche Dir trotzdem noch viel Spaß dabei!