Julia Seeliger
  • Weihnacht: Heimat: Zeit

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    24. December 2005 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Es scheint ja ganz offenkundig so, dass ein großer Teil der bundesdeutschen Bevölkerung, ja möglicherweise gar die Mehrheit aller Menschen ein – wie auch immer geartetes – Bedürfnis nach “Heimat” haben.

    Hirsch verfremdet

    Konkret muss sich dieses Gefühl ja nicht auf den Geburts- oder Aufwachs-Ort beziehen, ich persönlich freue mich einfach immer sehr, wenn ich mit dem Zug in den Ostbahnhof oder auch in den Bonner Bahnhof einfahre. Auch dies sind objektiv anwesende, und subjektiv nicht konkret erklärbare “Heimatgefühle” – vielleicht eine Art von Wahlheimat, auch geistig.

    Nun: Es ist überfällig, “Heimat” auch mal “von links” zu diskutieren! Das Thema dürfen wir nicht allein der CDU Sachsen überlassen. Auch Linke können, sollen, ja müssen mal über “Heimat” nachdenken und sich überlegen, ob und wie sie diesen Begriff für sich mit Leben füllen möchten.


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8 Responses to “Weihnacht: Heimat: Zeit”

  1. Die Linke hat m.E. zwei Probleme mit dem Heimatbegriff:
    Erstens assoziert man mit “Heimat” das volkstümelnde Klischeebild unserer (Groß-)Elterngeneration: Karl Moik und der röhrende Hirsch über dem Sofa…eine Abwehrreaktion gegen diese Art von Heimatbegriff ist für jeden linken und kulturell einigermaßen anspruchsvollen Mitmenschen nur natürlich. Wir sollten uns aber von diesem Heimatbild nicht abschrecken lassen und stattdessen selber den Begriff Heimat für uns definieren: Heimat ist ein Ort, an dem ich mich wohlfühle, zu dem ich eine emotionale Bindung habe, an dem ich Wurzeln schlagen kann. Diese Art der Definition ist weder konservativ noch spießig, sie erfüllt einfach ein emotionales menschliches Bedürfnis.
    Zweitens wurde und wird “Heimat” von rechter und konservativer Seite in allzu großer Nähe zu Begriffen wie “Patriotismus” und “National(-oder Regional-)Stolz” gestellt. Die Linke macht einen Fehler, wenn sie den Heimatbegriff ablehnt, um eine Gegenposition gegen diesen rechten Heimatbegriff zu setzen. Nicht die Ablehnung von “Heimat”, sondern die Definition im linken Sinne ist m.E. erforderlich. Die Definition von Heimat als Ort emotionaler Bindung beinhaltet nicht die rechte “Erhöhung” der eigenen Heimat gegenüber Anderen. Definiert man Heimat als einen Ort des Wohlfühlens, so beinhaltet das auch den Respekt gegenüber Anderen, die sich an anderen Orten wohlfühlen.
    Heimat im rechten, im konservativen Sinn definiert sich durch ein geschlossenes Bild, durch Abgrenzung nach Außen und Ausgrenzung des Anderen. Heimat im linken Sinne muss das Gegenteil sein: offen, vielfältig und tolerant.
    Gruß Frank

  2. Das ist doch schonmal eine coole Vorlage. Juhu Danke!

    ich frag mich jetzt halt auch, ob “Heimat” ein Ort sein muss oder nicht … Vielleicht schon, denn sonst würde der Begriff zu beliebig … oder ?

  3. Frank kann man eigentlich nur rechtgeben. Heimat ist vor allem ein vertrautes Umfeld, und das Streben nach Vertrautheit und Struktur ist eine menschliche Eigenschaft, für die ich keinen Ablehnungsgrund sehe. Im übrigen spielt da auch noch das soziale Wesen des Menschen rein. Im globalisierten Radikalkapitalismus spielen Heimat und die daraus resultierenden Bindungen eben kaum eine Rolle.

    Heimat ist wohl vor allem eine soziale Vertrautheit, aber z.B. für mich auch eine Vertrautheit mit der Umgebung, z.B. einer Stadt, einer Landschaft. Ein Gefühl, zu Hause zu sein, sich gut auszukennen, Erinnerungen erwachen zu sehen.

    Deshalb bezeichne ich mich auch als Lokalpatriot, weil ich meine vertraute Umgebung des Rheinlands als für mich das Beste ansehe und entsprechend froh bin, hier zu leben. Das bedingt natürlich keine Ablehnung der Bindungen anderer.

    Vielleicht hilft ja die altbekannte Kinderhymne von Brecht weiter, um das zu verdeutlichen:

    Anmut sparet nicht noch Mühe
    Leidenschaft nicht noch Verstand
    Daß ein gutes Deutschland blühe
    Wie ein andres gutes Land.

    Daß die Völker nicht erbleichen
    Wie vor einer Räuberin
    Sondern ihre Hände reichen
    Uns wie andern Völkern hin.

    Und nicht über und nicht unter
    Andern Völkern wolln wir sein
    Von der See bis zu den Alpen
    Von der Oder bis zum Rhein.

    Und weil wir dies Land verbessern
    Lieben und beschirmen wir’s
    Und das liebste mag’s uns scheinen
    So wie andern Völkern ihrs.

    Okay, das ist jetzt auf Deutschland bezogen, kann aber auf beliebige Raumeinheiten angewandt werden.
    —————————–

    Achso, dann ist hier ja noch Raum für etwas lokalpatriotische kölsche Propaganda:

    Unsere Stammbaum (Bläck Fööss)

    Ich wor ne stolze Römer, kom met Caesar‘s Legion,
    un ich ben ne Franzus, kom mem Napoleon.
    Ich ben Buur, Schreiner, Fescher, Bettler un Edelmann,
    Sänger un Gaukler, su fing alles aan.

    Su simmer all he hinjekumme,
    mir sprechen hück all dieselve Sproch.
    Mir han dodurch su vill jewonne.
    Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.
    Dat es jet ,wo mer stolz drop sin.

    Ich ben us Palermo,braat Spaghettis für üch met.
    Un ich wor ne Pimock, hück laach ich met üch met.
    Ich ben Grieche, Türke, Jude, Moslem un Buddhist,
    mir all, mir sin nur Minsche, vür‘m Herjott simmer glich

    Su simmer all he hinjekumme,
    mir sprechen hück all dieselve Sproch.
    Mir han dodurch su vill jewonne.
    Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.
    Dat es jet ,wo mer stolz drop sin.

    De janze Welt, su süht et us,
    es bei uns he zo Besök.
    Minsche us alle Länder
    triff m‘r he aan jeder Eck.
    M‘r gläuv, m‘r es en Ankara, Tokio oder Madrid,
    doch se schwade all wie mir
    un söke he ihr Glöck.

    Su simmer all he hinjekumme,
    mir sprechen hück all dieselve Sproch.
    Mir han dodurch su vill jewonne.
    Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.
    Dat es jet ,wo mer stolz drop sin.

  4. Nur um weiterzukommen …
    denkt Ihr, es kann einen Heimatort unabhängig vom Geburtsort geben (ich schon).

    Und zweitens: Kann es vielleicht anderes, nicht Orte oder Regionen oder Länder, geben, was man als “Heimat” empfindet ? Etwas “nicht lokatives” ?

  5. Wie Herbert Grönemeyer einmal treffend für einen seiner Songs formulierte: “Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl!”

    Stimmt, obwohl es von ihm kommt…

    Gruß
    David

  6. Julia: “denkt Ihr, es kann einen Heimatort unabhängig vom Geburtsort geben?”
    Auf jeden Fall. Das erleben wir doch ständig. Ich selbst habe mindestens zwei örtliche Heimaten, nämlich meinen Geburtsort und meinen jetzigen (seit 15 Jahren) Wohnort. Ich glaube, der springende Punkt hier ist, daß Menschen durchaus mehrere Heimaten gleichzeitig haben können. Das unterscheidet auch meinen Heimatbegriff, den ich für tendentiell eher links, auf jeden Fall nicht konservativ oder rechts halte, von dem klassischen: Frank hat recht, wenn er schreibt, daß der klassisch-konservative Heimatbegriff exklusiv ist. Das muß aber nicht sein. Etwas anders sehe ich das, wenn es um die Begriffe “Patriotismus” oder “National- bzw. Regionalstolz” geht. Ich glaube nicht, daß Patriotismus oder Regionalstolz per se verwerflich wären, natürlich gehört der von Frank zu Recht angemahnte Respekt vor anderen Heimaten dazu, aber bei vorhandenem Resptekt ist an Patriotismus m.M. nach nichts auszusetzen. Ich würde nie sagen, daß ich stolz bin, ein Deutscher, Westfale, Sauerländer, was auch immer zu sein – aber glücklich und zufrieden bin ich damit schon.
    Was sagt nun dieses Wort “stolz”? Wenn es heißt, daß ich mich für etwas Besseres halte, ist es falsch. Wenn es heißt, daß ich nicht mit jemand anderem tauschen möchte, aber natürlich trotzdem die andere Existenz, die andere Heimat respektiere – ist das so schlimm? Der von den Rechten benutzte Satz “Ich bin stolz, Deutscher zu sein.” ist aus vielerlei Gründen abzulehnen – aber die liegen alle nicht in dem Satz selbst begründet, sondern in der Art und Weise, wie und von wem dieser Satz benutzt wird. Natürlich ist die Nation gerade in Deutschland etwas Besonderes und heikel, aber wir wollen ja auch über Heimat diskutieren und nicht über Nation.

    “Und zweites: Kann es vielleicht anderes, nicht Orte oder Regionen oder Länder, geben, was man als “Heimat” empfindet ? Etwas “nicht lokatives” ?”
    Auch auf jeden Fall. Wenn ich Deinen Blog so betrachte, Julia, scheint mir z.B., daß Linux/Unix für Dich ein Stück Heimat ist. Ich selbst fühle mich beispielsweise in öffentlichen Bibliotheken wohl und zu Hause, egal wo die sind. Eine bestimmte Zeit – auch wenn mensch die gar nicht selbst erlebt hat – kann Heimat sein, wie z.B. “1968” geistige Heimat auch für viele Jüngere ist. Musik, Kunst, gutes (oder schlechtes) Essen, ein bestimmer Habitus zu leben à la “Großstadtnomaden”, bestimmte Internetforen, die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Alles das kein in meinen Augen “Heimat” seinl, und das schöne daran ist, daß mensch sich nicht auf eins davon beschränken muß.

    PS:
    […] Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland
    Wo die Misthaufen qualmen da gibt’s keine Palmen […]

    Kennt das hier noch jemand außer mir?

  7. Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer
    unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald
    Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld
    und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde
    und die Fische im Fluß sind die Heimat
    Und wir lieben die Heimat, die schöne
    Und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.

    Ach Julia,
    Die röhrenden doitschen Hirsche im psychedelischen Outfit lassen ja schon erkennen, was Du von “Heimat” hältst. Als vorausschauende Nachwuchspolitikerin greifst Du das Thema trotzdem auf und stellst fest, dass “die Mehrheit aller Menschen ein – wie auch immer geartetes – Bedürfnis nach “Heimat” haben” – Mehrheitsbedürfnisse überlässt man nicht dem politischen Gegener.

    Ich finde den Beitrag von Thomas Brussig sehr hilfreich, der das Thema aus der Ostperspektive beleuchtet, einer für Westlinke nach wie vor uneinnehmbaren terra incognita.

    http://www.thomasbrussig.de/publizistik/heimat.htm

    Vielen Dank für die Themensetzung und auch für Deine Anregungen zu einer gemeinsamen Hymne.

    Mathias

  8. […] Zu wichtig, um es “aus linker Sicht” aus den Augen zu verlieren. Im vergangenen Jahr habe ich bereits schon einmal in meinem Weblog eine Debatte hierzu gestartet. Anlässlich des diesjährigen “Festes des Konsums” (so ist es ja leider) wiederhole ich den Anstoß. […]