Julia Seeliger
  • Verfassungsgerichtsurteil zu Familienpolitik

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    23. May 2007 | Trackback | Internet ausdrucken
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    Da ist die Shirt-Aktion ja genau passend gestartet: Heute hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil genau zum “Monogamie-Thema” gefasst.

    netzeitung: Gericht rügt Benachteiligung unverheirateter Eltern
    23. Mai 11:06

    Für die Frage des Unterhalts von Alleinerziehenden ist es gleichgültig, ob die Eltern verheiratet waren oder nicht. Der Gesetzgeber muss nach einem Urteil aus Karlsruhe die Rechtslage ändern.

    Dazu hat meine Parteikollegin Astrid Rothe-Beinlich, frauenpolitische Sprecherin im bündnisgrünen Bundesvorstand, eine PM herausgegeben:

    Nr. 159/07
    Datum: 23. Mai 2007

    Alle Kinder sind gleich
    ————————

    Zum Bundesverfassungsgerichtsurteil mit dem Benachteiligungsverbot lediger Eltern gegenüber Verheirateten erklärt Astrid Rothe-Beinlich, Mitglied im Bundesvorstand und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen:

    „Das Verbot, Kinder verheirateter und unverheirateter Eltern mit zweierlei Maß zu messen, ist ein Sieg des Rechtsstaats über die ideologisierte Familienpolitik vor allem der Union. Damit wird klargestellt: Alle Kinder sind vor dem Gesetz gleich und haben gleiche Ansprüche.

    Dieses Urteil sollte der großen Koalition zu denken geben. Schon lange ist die Lebensrealität vieler Kinder und Eltern wesentlich vielfältiger als die klassische Ehe. Der Trauschein darf daher kein Kriterium für den Unterhalt sein. Das Urteil stellt klar: Das Leben mit Kindern verdient Unterstützung, nicht die Entscheidung der Eltern für oder gegen die Ehe.

    Wir fordern die große Koalition auf, umgehend die notwendigen Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen. Die Pläne zur Unterhaltsrechtsreform müssen jetzt schnell geändert werden, um allen Kindern künftig gleiche Rahmenbedingungen beim Unterhalt zu garantieren.”

    Da bin ich voll bei Astrid. Die klassische, auf lebenslange Monogamie angelegte Ehe ist keine Patent-Lösung für die Fragen des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft: Und noch etwas: Natürlich brauchen wir gesellschaftliche Solidarität auch abseits von biologischer Verwandschaft!


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3 Responses to “Verfassungsgerichtsurteil zu Familienpolitik”

  1. .. das ist tatsaechlich ein interessanter Punkt, die Frage ist doch aber: geht es tatsaechlich um Solidaritaet jenseits biologischer Verwandtschaft oder ist nicht das Kriterium des Unterhalts eben genau die biologische Verwandtschaft, ist es nicht so gedacht. Mag sein, dass ich hier im Moment nicht ganz informiert bin, nur diese Frage war sofort augenfaellig: ist dieses Urteil ein wirklicher Fortschritt oder nur eine weitere Vertiefung ‘blinden’ Biologismus, denn das Verheiratungskriterium garantierte ja noch eine gewisse soziale Verwandtschaft zwischen ‘Vater’ und ‘Kind’, die Unterhaltspflicht-man korrigiere mich- fiel hier nur bei genetisch nachgewiesener nicht-Vaterschaft weg, und wer waehlte schon den Weg des negativen Nachweises, aber welches Kriterium soll im Falle nicht-Verheirateter zur Feststellung einer Unterhaltspflicht angewendet werden, die Gefuehlsintesitaet, die durchschnittliche Dauer der Zusammenkuenfte und gemeinsamer Unternehmungen, wirklich objektivierbar bleibt nur die Biologie, und genau so wird es kommen, die Behoerden werden kuenftig jeder Wochenendbekanntchaft bis aufs genetische Blut nachstellen, um etwaige Unterhaltspflichten nachzuweisen, voelliger Unsinn, Solidaritaet muss sich aus den sozialen Strukturen ergeben, aus den Menschen selbst. Im uebrigen sind all diese Finanzfixationen, sowohl der Gesetzgeber, als auch der Mehrzahl der Gesetznehmer, widerwaertig, die Ehe ist einzig und allein die Idee, Privatheit oeffentlich zu machen, und schuetzt gleichzeitig die Privatheit aufgrund ihrer faktischen Inertheit, was das Verfassungsgericht hier aber beschliesst, wird in Wirklichekit in einer weiteren Oeffentlichmachung des Privaten enden, einer Durchleuchtung des Privaten und Kinder haben am Ende u.U. nicht das geringste gewonnen ausser ein paar euro von einem Unbekannten und einer auf das Biologische zurueckgeworfenen und daher zerstoerten Lebenswelt.

  2. .. ich muss an dieser Stelle auch dringend Foucault empfehlen, ‘Sexualitaet und Wahrheit: der Wille zum Wissen’, was hier geschieht ist naemlich nichts anderes als dass dieser Diskurs über Sexualitaet sich als weiteres Machtmoment des Staates, als Triumph der Objektivierungsmoeglichkeiten der Wissenschaft und als weitere Entmuendigung des Buergers darstellt, seit Jahrhunderten gibt es einen Diskurs, der unter dem Vorwand, das Individuum zu befreien, die Kinder zu befreien, auf die vormalige angebliche Repression verweisend, die Entmuendigung nur immer weiter vorantreibt. Es ist kein Zufall dass die Ehe als urspruenglich nicht-staatliches Instrument hier den Makel der Verfassungswidrigkeit erfaehrt, denn die Ehe entzieht ja letztlich dem Staat Macht, indem sie innerhalb eines Versprechens ein hohes Mass an Privatheit garantiert: niemand zweifelt zunaechst etwa Vaterschaften an. Im Zuge der Verwissenschaftlichung des Unterhaltsrechts wird der kalte Wind der Durchleuchtung, der biologistischen Durchleuchtung, nicht nur die Buerger, sondern auch die Ehe, in der Konsequenz also alle erfassen, der kalte Arm der Buerokratie wird in die letzten Winkel der Symbolik und sozialen Waerme eindringen und er tut dies unter dem Mantel der Objektivierung, der angeblichen Gerechtigkeit, ist das hier so schwer zu sehen, dass dieser Forschritt in Wirklicheit Regression und Überwachung bedeutet?

  3. ..nur damit hier keine Missverstaendisse aufkommen: es geht hier nicht um eine Apologie der Ehe, es geht darum, dass der gesellschaftliche Diskurs über die Sexualitaet sich mit dem Diskurs über die Oekonomie verschraenkend, das Kriterium der Effizienz in das Private einfuehrt und effizient ist eben das derzeitige Unterhaltsrecht nicht. Die Ehe als zwar unerfreulicher aber notwendiger Schutzraum gegenueber den Zugriffen des Staates, aber auch das soziale Gefuege der Individuen verschwindet unter einer Zugaenglichmachung der biologischen Fakten, eben unter jenem unbedingten ‘Willen zum Wissen’, hier ersetzt der moderne Diskurs über ‘Sexualitaet und Bevoelkerung’ in seinem Gestaendnischarakter den Beichstuhl der christlichen Mythologie, ich zitiere Foucault:

    “Der Sex, das ist nicht nur eine Sache der Verurteilung, das ist eine Sache der Verwaltung.(..) Der Sex wird im 18. Jahrhundert zui einer Angelegenheit der ‘Polizei’. Allerdings im vollen und starken Sinne, den das Wort zu dieser Zeit besass-nicht Unterdrückung der Unordnung, sondern verordnende Steigerung der kollektiven und individuellen Kräfte (..)”
    “Durch die politische Oekonomie der Bevoelkerung hindurch bildet sich ein ganzer Raster von Beobachtungen über den Sex. An der Grenze des Biologischen und des Ökonomischen entsteht die Analyse der sexuellen Verhaltensweisen, ihrer Determinationen und Wirkungen. Es kommt nun auch zu jenen systematischen Feldzügen, die jenseits der traditionellen Mittel (..) aus dem Sexualleben der Ehepartner ein ökonomisch und politisch abgestimmtes Verhalten zu machen veruchen.”
    (Hervorhebung von mir)

    Das wesentliche ist hier also die durch wissenschaftliche Analyseverfahren gedeckte Tendenz, das Private und das Sexuelle einer diskursivierten Form von Gestaendnis unterzuordnen, denn dass das Verfassungsgericht die Praxis der sozialisierten Unterhaltsform der Ehe als rechtswidrig entscheidet ist ja das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses der Individualisierung der Strafrechtsordnung mit den Mitteln der Wissenschaft, die Wahrheit im ‘objektivierbaren’ Diskurs entschluesselnd:

    “”Lange Zeit hat sich das Individuum durch seine Beziehung zu anderen und durch Bezeugung seiner Bindung an andere (Familie, Gefolgschaft, Schirmherrschaft) ausgeweisen; später hat man es durch den Diskurs ausgewiesen, den es über sich selbst halten konnte oder musste. Das Gestaendnis der Wahrheit hat sich ins Herz der Verfahren eingeschrieben, durch die die Macht die Individualisierung betreibt.”

    Was hier also gezeigt werden soll ist, dass die vordergruendige Gleichstellung von Menschen im Unterhaltsrecht in Wahrheit einem Schwinden von Schutzraeumen und einer weiteren Oekonomisierung, Biologisierung und Offenlegung des Privaten zureicht die eine jahrhundertealte polymorphe Technik der Verschraenkung von Macht und Diskurs fortsetzt.