Julia Seeliger
  • Studie: Unterschichtskinder haben mehr Zukunftsangst

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    24. October 2007 | Trackback | Internet ausdrucken
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    Was auf den ersten Blick nicht überraschend erscheint, ist doch ganz schön heftig: Schon sehr kleine Kinder können ihre Zukunftsperspektiven in der stark selektierenden Bundesrepublik realistisch einschätzen. Das hat die WorldVision-Kinderstudie zutage gebracht.

    SPIEGEL ONLINE: “Arme Kinder, armes Leben”

    Bereits Grundschüler schätzen ihre Zukunftschancen pessimistisch ein. Dies sei etwa bei der Frage nach den Schulperspektiven deutlich geworden, sagte der Forscher Klaus Hurrelmann, der die Studie mit durchführte. Der Sozialwissenschaftler nannte es beängstigend, wie groß in Deutschland die Spanne zwischen sehr gut situierten Kindern und ihren Altersgenossen sei, die unter sehr schlechten Bedingungen aufwachsen. Neben der Angst, dass ihre Eltern arbeitslos werden könnten und die Familie dadurch die Sicherheit verliert, fürchten Kinder sich besonders vor Kriegen und Terroranschlägen.

    Spannend auch der Ausgang der Studie bezüglich Berufstätigkeit (beider) Eltern.

    Kinder von berufstätigen Eltern empfinden meistens mehr Zuwendung als Kinder in arbeitslosen Familien. Wenn beide Eltern arbeiten, bedeute das nicht, dass die Kinder sich vernachlässigt fühlten: Im Gegenteil sei bei den Söhnen und Töchtern arbeitsloser Eltern die Zufriedenheit eher niedrig, sagte Hurrelmann im ZDF. Für Kinder sei entscheidend, wie verlässlich die Zeit sei, die ihre Eltern ihnen widmeten.

    Da kann ich nur gebetsmühlenartig wiederholen: Nötig ist endlich ein gerechtes, integratives Bildungssystem mit gut ausgebauten Schulen, individuellem Unterricht und kleinen Klassen. Nötig ist – jetzt mal grundlegend – eine umfassende soziale Infrastruktur. Man könnte ja mal Segel setzen nach Skandinavien, da läuft einiges besser.

    Warum das mit dem Bildungssystem in der Bundesrepublik Deutschland nicht voran kommt, kann ich – Vorsicht, Verschwörung! – nachvollziehen. Echt traurig: Da gibt es eine Ober- und Mittelschicht, die beide darauf dringen, ihre Interessen zu wahren. Eltern, deren Kinder nicht mit den “Assis” auf eine Schule gehen sollen, sondern lieber auf dem Gymnasium Abitur machen sollen. Denn so haben ihre Nachkommen bessere Aufstiegsschancen und weniger Konkurrenz.

    Das mal das Wort zum Mittwoch. Es muss sich eine Menge ändern in der Bundesrepublik Deutschland. Armut wird vererbt, und das nicht seit gestern. Geändert hat sich daran in den letzten Jahrzehnten – trotz vielfacher Appelle und vollmundiger Sonntagsreden – nicht besonders viel.

    Inhaltsverzeichnis der WorldVision-Kinderstudie

    Die Zusammenfassung der Studie als PDF.

    Kleiner Seitenhieb zum globalen Engagement von “World Vision” – einen interessanten Artikel zu Kinderpatenschaften in Entwicklungsländern hat Michi Kömm im vergangenen Jahr verfasst.

    Viele Menschen spenden Geld an die Dritte Welt, doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Vorsicht ist zum Besispiel angesagt, wenn ein Hilfsprojekt Werbung mit Patenschaften für einzelne Kinder macht.

    WorldVision ist eine christlich orientierte Organisation, die sich für globale Gerechtigkeit einsetzt. 150.000 Patenkinder, 229 Projekte, 46 Länder – das ist der Slogan. Man macht Werbung für Patenkinder, aber wohl zur Finanzierung von regionalen Entwicklungsprojekten – das scheint ganz okay; inwiefern Michis Kritik dennoch auf diese Organisation zutreffen könnte, vermag ich nicht zu bewerten. Zumindest ist die Organisation sehr um Transparenz bemüht.

    Wir tragen das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstitutes für soziale Fragen (DZI) in Berlin. Dieses Siegel erhält nur, wer sich freiwillig der Kontrolle und Prüfung des DZI zur wahren, eindeutigen und sachlichen Werbung sowie zur nachprüfbaren, sparsamen und satzungsgemäßen Verwendung der Geldmittel und weiteren Kriterien unterzieht.

    Nun, aber eigentlich ging es um die Kinderstudie. Und die ist auf jeden Fall berichtenswert. Denn jedes vierte Kind in der Bundesrepublik Deutschland lebt in Armut – da muss endlich ernsthaft etwas geschehen!


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9 Responses to “Studie: Unterschichtskinder haben mehr Zukunftsangst”

  1. Thomas Kurbjuhn

    Könnte ein Vorteil des skandinavischen Bildungssystems vielleicht darin liegen, im Land eine andere Ausländerstruktur zu haben mit aus genetischen Gründen bildungsbefähigteren Ausländern?

  2. So viel Bullshit von einer einzelnen Person kann es doch gar nicht geben…

  3. Klar du Hirni

    Da wohnen die wahren Arier. Blond und Besser. /zyn off

  4. Der ist doch Realsatire oder?

  5. Zum Thema zurück:

    Ich warne vor dem Gebrauch des Begriffes “Unterschicht”. Der ist erst wieder in Mode gekommen durch prekäre und zukunftsängstliche AkademikerInnen, die sich von irgendwem abgrenzen wollen.
    Die Zukunftsangst ist ganz sicher mehr als berechtigt, aber man sucht sich jemandem, dem sich überlegen fühlen will z.B. in Sachen Lebensstil.

  6. Nein, ich finde es verlogen, Realitäten nicht so zu benennen, wie sie sind. Man erinnere sich noch an die unselige Debatte im vergangenen Jahr über das “Prekariat”.

    Das sind keine Abgrenzungstendenzen. Es gilt ja, diese Zustände zu überwinden, zB durch ein vernünftiges Bildungssystem oder durch eine wirksame Vermögens- und Erbschaftssteuer.

  7. Dass du das so meinst, ist mir schon klar.
    Dennoch ist “Unterschicht” heute ein zweifelhafter Modebegriff, den man aus ebenso zweifelhaften Gründen aus der Mottenkiste geholt hat, wo man ihn wissenschaftlich zurecht schon vor längerem abgelegt hat.

    Als Sozialwissenschaftler kann ich eben nicht so gedankenlos mit Begriffen umgehen, wie es PolitikerInnen und Massenmedien gerne tun.

  8. Christoph, dann ist deine Kritik verständlicher,

    soll man mehr in Millieus reden und denken, oder wie?

  9. Der Begriff des Milieus ist jedenfalls adäquater und auf der Höhe der wissenschaftlichen Durchdringung dieses Themas.

    Die Milieu-Einteilung ist komplexer, wodurch sie der Realität gerechter wird und diverse soziokulturelle Unterschiede berücksichtigt. Ob eine arme 21 Jahre junge Studentin dem gleichen Milieu angehört wie ein 59jähriger Hartz-IV-Empfänger, kann man aber erst nach näherem Hinschauen sagen.