Julia Seeliger
  • FR: “Cohn-Bendit zu Recht ausgebuht”

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    18. September 2007 | Trackback | Internet ausdrucken
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    Mein Kollege Sven-Christian Kindler aus dem Parteirat der niedersächsischen Grünen hat in der Frankfurter Rundschau einen Leserbrief veröffentlicht.

    Zu “Heftige Klatsche für die Grünen-Spitze”, FR vom 17. September

    Grüne übernehmen Verantwortung für Afghanistan!

    Daniel Cohn-Bendit ist anscheinend von persönlichen Gefühlen geleitet, da er zu Recht auf dem Parteitag für seine schlechte, aggressive Rede und seinen militaristischen Antrag ausgebuht wurde. Anders lassen sich seine unqualifizierten Äußerungen nicht erklären.

    Wenn er den Grünen vorwirft, mit dem Parteitagsbeschluß nicht regierungsfähig zu sein, zeigt er auf dramatische Art und Weise, dass für ihn beim Parteitag dieser Aspekt und nicht die Verantwortung für die Menschen in Afghanistan im Vordergrund stand. Die Grünen sind mit diesem Beschluss jetzt die einzige Partei, die einen deutlichen Strategiewechsel in der Afghanistanpolitik fordert. Für mehr zivilen Aufbau, für den Stopp der Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch die Taliban, aber auch die Truppen von OEF und ISAF, für eine Politik die Menschenrechte und Frieden sichert. Niemand, aber auch wirklich niemand, bei den Grünen möchte, dass die Taliban wieder an die Macht kommen. Im Moment nutzt aber die militärische Eskalation der internationalen Truppen den Taliban und anderen Aufständischen. Selbst die Vereinten Nationen vor Ort sagen klar, dass 2007 durch die internationalen Truppen mehr ZivilistInnen getötet wurden als durch die Taliban! Deswegen fordert der Parteitag die Beendigung von OEF, einen klaren Strategiewechsel der ISAF für mehr zivilen Wiederaufbau, aber nicht den Abzug der deutschen Truppen im Rahmen der ISAF. Aber solange dieser Strategiewechsel bei ISAF nicht erfolgt ist, empfiehlt die Partei den Abgeordneten dem Regierungsmandat im Bundestag NICHT zuzustimmen. So können die Abgeordneten mit Nein, aber auch mit einer Enthaltung stimmen.

    Damit machen die Grünen deutlich, dass sie eine basisdemokratische Partei sind, die keine autoritäre Führung braucht und Verantwortung für die Menschen in Afghanistan übernimmt.

    Sven Kindler, Parteirat Grüne Niedersachsen

    Ich hatte mich dazu in einem vorhergehenden Beitrag schon mal geäußert:

    Kritisiert von dieser Seite wurde auch die angeblich so aufgeheizte Stimmung, beispielsweise bei der Rede von Dany Cohn-Bendit, der sich Buh-Rufe anhören musste. Dazu nur meine Meinung: Erstens war der Parteitag für einen friedenspolitischen Grünen-Parteitag sehr harmonisch, zweitens waren die Buh-Rufe berechtigt (Dany hatte in seiner Rede die These aufgestellt, dass diejenigen, die nicht seinem Antrag folgen wollten, “verantwortungslos” wären) und drittens sind für mich persönlich Zwischenrufe Element politischer Kultur, so dass man an dieser Stelle mal nicht so rumjammern sollte.


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5 Responses to “FR: “Cohn-Bendit zu Recht ausgebuht””

  1. […] Julias Blog bin ich auf einen Link zu einem Leserbrief des niedersächsischen Parteiratmitglieds Sven […]

  2. Hi Julia,

    auch hier drängt es mich, meinen Senf dazu zu geben, nämlich erstmal zu den Buh-Rufen bei Dany Cohn-Bendit (meine “Bravo-Rufe” wirst Du nicht gehört haben können, Du warst zu weit weg auf dem Podium ;-).

    Also: Wieso sollen die Buh-Rufe berechtigt gewesen sein? Was für eine Kultur üben wir eigentlich, wenn über abweichende, aber keineswegs völlig abwegige Meinungen nicht mehr sachlich diskutiert werden kann/darf? Wenn ich die BDK Revue passieren lasse, dann komme ich immer mehr dazu, daß über das zentrale Thema Tornados, ein mögliches “Für” und ganz viele “Wider” gar nicht diskutiert werden konnte, weil das der Mehrzahl der Delegierten einfach nicht in den (vorgefaßten) Kram passte. Es ist dann kein Wunder, wenn die veröffentlichte Meinung dazu so süffisant ausfällt.

    So, und noch eins drauf, mal sehen, was der zitierte Kommentar von Clemens Wergin im Tagesspiegel-Blog hier für Wellen schlagen wird:

    “Die grünen Ego-Non-Shooter
    C.Wergin | 10:48 20.09.2007

    Es ist ein erstaunlicher Propagandaerfolg für den linken Flügel bei den Grünen, dass selbst in seriösen Blättern stets von den “Friedensbewegten” die Rede ist, die sich beim Afghanistan-Parteitag am Wochenende nun durchgesetzt hätten. Zynische pazifistische Fundamentalisten wäre der bessere Begriff für jene Gesinnungsethiker, denen das Schicksal eines ganzen Volkes egal ist, solange nur ihr eigen Seelenheil intakt bleibt und sie sich weiter als Moralisten fühlen dürfen.
    Die Delegierten, die sich gegen die ganze Afghanistan-Mission ausgesprochen haben, sind
    1. realitätsvergessen und kurzsichtig, weil sie nicht verstehen wollen, dass der Wiederaufbau in Afghanistan ohne Sicherheitskomponente zum Scheitern verurteilt ist
    2. unmoralisch, weil ihnen herzlich egal ist, was denn eine Mehrheit der Afghanen für ihr Land und die eigene Zukunft möchte.
    3. ein Sicherheitsrisiko, weil es ihnen nichts ausmacht, dass Afghanistan – oder Teile davon – ohne externe Unterstützung wieder den Taliban und Al Qaida in die Hände fallen könnte.
    Man darf davon ausgehen, dass die prinzipientreuen Grünen, die den Parteitag bestimmten, ihren Kant einigermaßen verinnerlicht haben. Getreu dessen “kategorischem Imperativ” soll man stets so handeln, dass daraus eine allgemeine Maxime abgeleitet werden könnte. Wer also für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan eintritt, befürwortet damit auch den Abzug aller anderen Nato-Truppen, weil alles andere bedeuten würde, einen nationalen deutschen Sonderweg zu propagieren. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Grünen einen solchen nationalistischen Pazifismus im Kopf hatten, als sie gegen die deutsche Beteiligung an der Mission votierten. Man muss also annehmen, dass sie gegen die internationale Mission ansich sind.
    Was heißt das aber? Es bedeutet, einen erneuten Bürgerkrieg in Afghanistan in Kauf zu nehmen zwischen der Zentralregierung, die immer noch zu schwach ist, um die Staatsgewalt auf das ganze Land auszudehnen, verscheidenen Warlords und den Taliban. Es heißt auch, weite Teile des Landes und seine Menschen wieder den Taliban zu überantworten, zumindest im Süden und Osten. Die grüne Mehrheit befürwortet also, dass afghanische Frauen und Männer wieder unter das archaische Joch der Scharia gezwängt werden in der bekannten Taliban-Auslegung, dass Mädchen aus den Schulen genommen werden und selbst Musik von den Taliban wieder verboten wird. Dass von den Taliban wieder kontrollierte Landesteile erneut zum Rückzugsgebiet von Al Qaida würden und sich die internationale Gemeinschaft in zehn bis 15 Jahren deshalb möglicherweise erneut genötigt sähe, diese Gebiete militärisch zu bekämpfen, um verheerende Anschläge gegen den Westen zu verhindern, würde ebenfalls zu den erwartbaren Folgen jenes grünen Isolationismus gehören, der sich auf dem Parteitag Luft gemacht hat.
    Ist solch eine Politik also tatsächlich “friedensbewegt”, wie so viele sagen und schreiben? Angesichts der erwartbaren Folgen eines Rückzugs der internationalen Gemeinschaft aus Afghanistan ist das Gegenteil der Fall: Die von den Grünen mehrheitlich befürwortete Politik würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu mehr Krieg, mehr Toten und mehr Unsicherheit führen. Wie man so etwas als Pazifismus verkaufen kann, ist mir ein Rätsel. Es dient der Wiederherstellung des eigenen grünen Gefühlshaushaltes, die Afghanen sind diesem Teil der Grünen jedenfalls herzlich egal. Man könnte sie die “Ego-Non-Shooter” nennen, denen es zuallererst um das eigene Seelenheil geht.
    Der Pazifismus hat in seiner Geschichte viele Fehler gemacht und ist etwa mitverantwortlich dafür, dass Großbritannien nicht ausreichend auf den Krieg vorbereitet war, den Hitler ihm aufgezwungen hat. Im Kern jedoch hat der Pazifismus seine Berechtigung als volkserzieherisches Projekt gehabt. Als die “Friedensgesellschaften” Ende des 19. Jahrhunderts in Europa gegründet wurden, geschah das in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die “Ehre des Vaterlandes” und das Soldatische einen überragenden Stellenwert einnahm und Krieg als Mittel zwischenstaatlicher Konfliktlösung nicht nur akzeptiert war, sondern oftmals als Königsweg galt. Pazifisten waren zwar schon immer schlechte Realpolitiker, weil es herzlich wenig brachte, eine Gesellschaft vom Krieg abbringen zu wollen wenn da draußen jede Menge Feinde lauerten, die ihrerseits bereit waren, sich jede Schwäche des anderen zunutze zu machen. Dennoch war der pazifistische Impuls und die Konfliktlösungsalternative, die er anbot, ein wichtiges Element zur Zivilisierung Europas. Zwar ist Europa maßgeblich von Realpolitikern aufgebaut worden, denen bewusst war, dass Europa sich nach den beiden Weltkriegen nicht noch eine kontinentale Katastrophe leisten konnte. Dass aber Frieden und multilaterale Konfliktlösung kein Nullsummenspiel sind, sondern das letztlich alle von diesen Mechanismen profitieren, an dieser Erkenntnis und an dieser kulturellen Veränderung hat der Pazifismus mit gearbeitet.
    Das heutige Europa ist jedoch ein komplett anderes als jenes, in dem sich der Pazifismus als Bewegung einst konstituierte. Die überwältigende Mehrheit der Europäer wird heute weder zum Militarismus noch als autoritärer Charakter erzogen. Der Kontinent hat sich also verändert, was nicht nur im Innern, sondern etwa auch an Missionen wie der in Afghanistan ablesbar ist mit ihrer besonderen Betonung des zivilen Engagements. Der Pazifismus hingegen ist offenbar derselbe geblieben.
    Vor allem zieht sich der Pazifismus in einem simplen Schwarz-Weiß-Denken zurück auf eine angebliche moralische Eindeutigkeit. Krieg ist immer schlecht, so die Losung, deshalb wollen wir nichts mit Missionen zu tun haben an denen auch Soldaten beteiligt sind.
    Die Welt dort draußen ist aber weitaus komplizierter und damit auch die moralischen Fragen, die sich jedem staatlichen Akteur stellen. Es wird auch in Zukunft keine Militäraktionen geben, bei denen nicht auch Zivilisten sterben. Zum Teil ist es sogar so, dass die Taliban es bei ihren Aktionen geradezu darauf anlegen, dass möglichst viele Zivilisten umkommen. Eine ethische Bewertung muss also immer die unvermeidlichen Opfer des Eingreifens mit den wahrscheinlich eintretenden Folgen von Aktionen und Nichtaktionen abwägen. Wenn man in Afghanistan sicher die ein oder andere Nato-Aktion als problematisch ansehen kann, so scheint mir doch eindeutig zu sein, dass die moralische Bilanz des Einsatzen sehr, sehr deutlich im Positiven ist – vor allem gemessen an den Alternativen. Zumal die Afghanen in ihre überwiegenden Mehrheit wollen, dass die ausländischen Truppen weiter bei der Befriedung des Landes helfen.
    Offenbar hat eine Mehrheit der grünen Parteitagsmitglieder Schwierigkeiten damit, sich komplexen moralischen Fragen in der realen Welt da draußen zu stellen. Der Parteitagsbeschluss ist deshalb nicht nur eine Rückkehr in alte Zeiten grüner Fundamentalopposition, es ist auch die Flucht in Weltvergessenheit und Isolationismus, die Flucht vor den komplexen Realitäten hin zu einer vermeintlichen, Sicherheit gebenden moralischen Eindeutigkeit. Ein pazifistischer Fundamentalismus eben.
    Mir tut es leid um die grüne Führungsspitze, die sich weit mehr als ihre Basis darüber im klaren ist, dass wir auch in moralischen Fragen nicht in einer Schwarz-Weiß-Welt leben. Zwei Jahre lang hatten die Grünen dem Druck widerstanden, nach dem Abschied von der Macht außenpolitisch wieder in Fundamentalopposition zu verfallen. Das waren auch zwei Jahre, in denen die Grünen außenpolitisch weitaus verlässlicher agierten als Guido Westerwelle mit seinem außenpolitischen Opportunismus. Damit ist es nun leider vorbei.”

  3. ..ein kommentar der länger als das zu kommentierende ist, hat wohl mehr mit selbstdarstellung als mit dem thema zu tun..

    (…)

  4. (Wergin und seine Multinazis wurden doch ohnehin gefeuert und veroeffentlichen fortan in noch viel schundigeren Blaettern)

  5. “Kant einigermaßen verinnerlicht haben. Getreu dessen “kategorischem Imperativ” soll man stets so handeln, dass daraus eine allgemeine Maxime abgeleitet werden könnte.”

    Wer Kant nicht kennt sollte ihn lieber nicht “zitieren” – Man soll Kant und dem Kategorischen Imperativ zufolge mitnichten so handeln, dass aus der Handlung “eine allgemeine Maxime abgeleitet werden könnte”. – Wie soll das ueberhaupt gehen?

    Richtig heisst es: Handele stets so dass die (besondere) Maxime Deines Handelns Grundlage eines allgemeinen Gesetzes werden könnte. (Aus dem Gedaechtnis zitiert).