Julia Seeliger
  • Du bist prekär

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    3. January 2007 | Trackback | Internet ausdrucken
    scissors

    Im Bundestagswahlkampf 2005 hatten wir eine Aktion gemacht, bei der ein Praktikant von einem Chef mit einer Kette durch nord- und ostdeutsche Kleinstädte gezogen wurde. Von mittelständischen Baden-Würtembergischen Unternehmern – auf Rügen im Urlaub – wurden wir dafür gescholten: “Die sollen erstmal etwas lernen, die jungen Leute, und nicht immer nur fordern!”. Auch einige Menschen, die Hartz-IV bekommen – und davon trafen wir nicht wenige – fanden die Aktion nicht immer toll.

    Stephan Praktikant beim Schuhe Putzen

    Wie die Zeit gezeigt hat, war die Aktion goldrichtig. Da geht es nicht um überzogene Forderungen junger HochschulabsolventInnen, die nunmal leider nicht ein Einstiegsgehalt von 50.000 Euro im Jahr bekommen, sondern wir beklagen eine zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, mit denen die sozialen Sicherungssysteme nicht Schritt gehalten haben. Inzwische gibt es zahlreiche Initiativen – die entsprechende Bundestagspetition war diejenige mit den meisten MitzeichnerInnen überhaupt, die grüne Bundestagsfraktion hat jetzt Schritte unternommen und einen “Zehn-Punkte-Plan” sowie eine Selbstverpflichtung beschlossen.

    Das Thema ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eltern machen sich Sorgen um ihre Kinder: “Ihr habt es viel schlechter als wir,” geben sie inzwischen zu, “nein, mit Euch würde ich nicht tauschen wollen.”

    Bei diesem Thema ist es natürlich ausgesprochen schwierig, nach Lösungen zu rufen. Diejenigen, die sich auch ein unbezahltes Praktikum leisten (!) können, werden dies natürlich immer noch antreten wollen. Aber ich appelliere an alle, sich diesem Dogma nicht mehr zu unterwerfen. Ihr nehmt einen Kredit bei Euch selbst, geht mit einem un- oder schlechtbezahlten Praktikum einen unfairen Deal ein. Natürlich ist es Euer Recht, mal bei einem Arbeitgeber reinzuschnuppern, aber mal ehrlich: Findet Ihr es fair Euch und anderen gegenüber, eine derartige Ausbeutung Eurer Arbeitskraft noch zu unterstützen?

    Zum anderen kann man natürlich die Forderung nach einem “Mindestlohn für PraktikantInnen” aufstellen. Es kann doch nicht sein, dass Firmen einen “Haustarif Null” setzen. Meiner Meinung sollten es für AbsolventInnen schon 600 Euro monatlich sein, immerhin sind diese qualifiziert und es ist meiner Meinung nach grundfalsch, wenn jemand mit einem abgeschlossenen Studium immer noch von den Eltern unterstützt werden muss (die Eltern befinden sich zu diesem Zeitpunkt bisweilen schon im Rentenalter!).

    Also:

    • einen Bogen machen um Firmen, die nicht zahlen
    • den Firmen das auch so sagen
    • sich an Demonstrationen für einen PraktikantInnen-Mindestlohn beteiligen
    • grundsätzlich mal die heilende Funktion des Marktes bei der Suche nach Arbeit in Frage stellen

    Nachtrag: Das alles (Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisse) betrifft natürlich auch viele andere Leute. Die “Generation Praktikum” ist nur ein Auswuchs davon. Auch ältere Leute – zB im Medienbereich – müssen von sehr wenig Geld leben bzw sehr viel arbeiten, um überhaupt leben zu können. Das heisst ja eben nicht, dass ich dem Zustand “40 Jahre derselbe Job” hinterherweine, jedoch kann es doch auch nicht richtig sein, im Alter von 30 oder 40 Jahren immer noch am Existenzminimum herumzukrebsen. Manche sagen, die “Generation Praktikum” und die “Prekären” sollten sich mit den Arbeitsloseninitiativen bzw den Hartz-IV-Initiativen zusammentun. Vieleicht – so lange die Forderung nicht “Grundeinkommen” lauten muss … So einfach ist es nämlich nicht!


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10 Responses to “Du bist prekär”

  1. Einen möglichen Grund, warum sich die Generation Praktikum eben nicht mit den Arbeitsloseninitiativen zusammentut, beschrieb vor kurzem Adam Soboczynski in der ZEIT:

    http://www.zeit.de/2006/50/Erben?page=all

  2. Ein frohes und erfolgreiches neues Jahr Julia und gerne nehme ich den Handschuh auf. Ich denke die urgrüne Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens hat ein wenig mehr verdient als ein einfaches “…so einfach ist es nämlich nicht”.
    Die Materie BGE ist nämlich keineswegs einfach, allerdings das “einzige überzeugende sozialpolitische Alternativmodell unserer Zeit” (R.Zion B90/Grüne Bundesdeligierter). Nach wie vor warten die BGEler aller Couleur auf nachvollziehbarer Gegenmodelle ihrer Kritiker – dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, ist ja auch dir klar. Möglicherweise waren auch deshalb von den ca. 500 Deligierten des Kölner Bundesparteitags der Grünen bereits knappe 150 Mitglieder des grünen Netzwerks Grundeinkommen. Aber das ist euer Ding und mir wäre es natürlich lieber wenn wir diejenigen sein könnten die sich zuerst mit dieser Idee assoziieren.
    Zum eigentlichen Thema – das was du beschreibst ist mir mehr als vertraut. Ich bin in Teilzeitarbeit gefangen und lebe von 420 netto im Monat (und bestreite davon auch Miete usw.). Das macht zwar kreativ, ist aber keine Perspektive. Ich habe keine wirkliche Gegenwart und keine Zukunft.
    Meine Lebensrealität (und die vieler anderer) ist systembedingt. Was wäre denn dein Einfall dazu?

  3. Hallo zusammen,
    Ich finde es gut dass die Debatte um einen Mindestlohn bei Praktika jetzt endlich mal geführt wird.Es ist doch wohl eine selbstverständliche Sache dass Arbeit egal ob Praktika oder normaler Job gerecht entlohnt werden müssen.Das ist momentan in Deutschland nicht der Fall.Dafür müssen jetzt endlich gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden.
    Aber trotzdem denke ich, dass wir früher oder später ( besser aber früher ) nicht an einem bedingungslosem Grundeinkommen vorbei kommen.Dass ist meiner Meinung nach der einzige mögliche Weg um Armut wirksam entgegenzu treten.Ich hoffe, dass unsere Partei sich zu einem BGE bekennt und das im Bundestagswahlkampf 2009 zu einem zentralen Thema macht.

    Mit grünen Grüßen, Hansi Eckstein

  4. Warum sollte die Forderung nicht “Grundeinkommen” lauten müssen? Wenn sie den Praktikanten auch noch Geld bezahlen müssten, würden viele Firmen die Bürde, jemanden, der nach drei Monaten oder einem halben Jahr eh wieder verschwindet, auch noch mit hohen Einsatz einzuweisen, überhaupt nicht mehr auf sich nehmen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wäre es jedem unabhängig von der sozialen Schicht und dem Einkommen der Eltern möglich, sich beruflich einmal umzuschauen, und finanziert würde das bekanntlich in dem Fall wieder durch die Konsumsteuer aus dem Geld, das die “Heuschrecken-Unternehmer” dann angeblich für sich behalten.

  5. Hallo,
    Ich sehe es natürlich so,dass ein BGE in Verbindung mit einem Mindestlohn auch nicht für realistisch. Aber wenn man die derzeitige Lage in der Politik ansieht wird es wohl in nächster Zukunft nicht zu einem BGE kommen.Ein Mindestlohn wäre hingegen mit der SPD, der Linkspartei und den Grünen zu machen. Also sollte man sich solange keine Mehrheit in der Politik für ein BGE da ist,erst einmal auf einen gesetzlichen Mindestlohn einigen.

    Grüne Grüße, Hansi

  6. Ich bitte mein falsches Deutsch im ersten Satz zu entschuldigen

  7. Ja nun, was alles mit Rot-Rot-Grün zu machen wäre – Konsenz besteht nicht nur beim Mindestlohn sondern auch bei der Bürgerversicherung und im Bereich Bildung (“Einheitsschule”, Studiengebühren).
    Ich erinnere mich noch gut daran wie alle um mich herum meinten, eine Rot-Rot-Grüne Truppe wäre unrealistisch und nicht arbeitsfähig (2005). Und heute? An der Großen Koalition sieht man deutlich dass die “Sozen” mal lieber nach inhaltlichen Gesichtspunkten gegangen wären und nicht nach taktischen. So ein Gesundheitsdesaster hätte es mit der Dreierbande nicht gegeben.

    Was das BGE angeht bleibt festzustellen, dass diese Idee mittlerweile deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Ich glaube allerdings auch (Glaube spielt da eine große Rolle) dass es nicht zwangsläufig eine Partei nötig hat, es zu vertreten. Ein BGE ist nur als Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Debatte möglich. Parteien repräsentieren im Moment leider nicht die ganze Breite der Gesellschaft.
    Allerdings wäre es natürlich schön, Parteien als Multipikator für die Idee zu gewinnen.
    Tendenziell sind die Grünen da im Moment weiter als die LiPa.PDS. Die SPD als Volkspartei hingegen wird darauf warten wie der Wind sich dreht.
    Ich träume allerdings sowieso von einer Neuauflage von Rot-Grün – ohne SPD. Das ist im Gegensatz zum BGE allerdings tatsächlich noch blanke Utopie…;-)

  8. Da stimme ich Dennis voll und ganz zu.Rot-Grün ohne SPD wäre das Idealste, ist aber bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen nicht realisierbar. Wichtig wird aber meiner Meinung nach sein 2009 eine Regierung zu bilden die soziale linke Politik durchsetzten kann.Das wird nur möglich sein, wenn weder die CDU, noch die FDP an der Regierung beteiligt sein wird.Da es wahrscheinlich für Rot-grün nicht reichen wird muss es 2009 endlich ein Rot-Rot-Grün Bündnis geben.
    Aber nun zurück zur Sache.Interessant wird die Debatte um ein BGE erst,wenn man anfängt über Details zu reden.Z.B. über die Höhe.Dieter Althaus von der CDU hat ja ein Konzept zur Einführung eines BGEs entwickelt.Dieses halte ich jedoch für völlig daneben. Er schlägt vor 800 Eoro für Erwachsene zu zahlen.Für jedes Kind erhält man 300 Euro.Zieht man von den 800 noch 200 für die Krankenversicherung ab, bleiben noch 600.Dann soll man noch Miete,Strom,Telefon usw.bezahlen.Dieses BGE läge nicht einmal auf dem Niveau vom ALG II.Ein BGE muss auch in der Höhe stimmen.Ein BGE von 1000 Euro läge wohl in einem sinnvollen Bereich.

  9. Korrekt. Darum verfechte ich ja auch (Kunststück als Linker) die Trias von Katja Kipping und nicht diesen marktradikalen Schmonz von Herrn Althaus oder Herrn Werner.

  10. Hansi Eckstein

    Also, als Fazit bleibt fest zu stellen, dass ein Mindestlohn ein gute Sache ist, langfristig aber ein BGE nicht ersetzen kann.Das BGE ist das einzige Model um Armut zu bekämpfen. Das sollten auch die Kollegen aus der CDU, der FDP und der neoliberale Teil von uns Grünen mal so akzeptieren.

    lg, Hansi