zeitrafferin
Julia Seeliger-
13. September 2007 | 56 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Am Montag haben wir im Parteirat über den Kompromissvorschlag des Bundesvorstandes beraten. Ich habe mich bezüglich dieses Kompromisses enthalten und habe lange überlegt, ob und wie ich dies publizieren möchte.
Dem Kompromiss konnte ich nicht zustimmen, weil er für mich die gesamte Veranstaltung ad absurdum führt. Die Sonder-BDK wurde einberufen, weil Unklarheit bestand, ob alle Bundestagsabgeordneten bei der Tornado-Abstimmung in Einklang mit der Kölner BDK gehandelt haben. In März ging es im Parteirat und in der Bundestagsfraktion hoch her, weil die Mehrheit der Abgeordneten die Zustimmung zum Tornado-Mandat durch den Kölner Beschluss gedeckt sahen. Danach begann die grüne Basis, Unterschriften für die Sonder-BDK zu sammeln – das Quorum wurde erreicht, am Wochenende fahren wir nach Göttingen.
Es kam bei der Beratung des Leitantrags – gelinde gesagt – zu Unstimmigkeiten, sowohl innerhalb des Bundesvorstandes der Partei, als auch zwischen der Bundestagsfraktion und der Parteispitze. Schon jetzt, vor dem Parteitag, sind die Inhalte des Leitantrags – zivilen Aufbau stärken, Polizei aufbauen, Korruption bekämpfen, Frauenrechte sichern – weit in den Hintergrund getreten. Auch die Diskussion um die drei Mandate – Operation Enduring Freedom (der Einsatz der Amerikaner im Süden) ISAF (das bisher auch von den meisten grünen Abgeordneten unterstützte Mandat im Norden Afghanistans) und das Tornado-Mandat (die Aufklärungs-Tornados) birgt nicht unbedingt die größte Sprengkraft, auch wenn es bei den Tornados spannend werden könnte.
Nein. Erst durch die Ankündigung der Bundesregierung, ISAF und Tornados in einer verbundenen Abstimmung beschließen zu wollen, begann der Nervenkrieg. Ich möchte hier nicht alles ausbreiten – die Presse weiß es gewiss schon – jedoch bin ich sehr in Sorge um die Debatte und die Entscheidungen, die wir in Göttingen treffen müssen. Inzwischen überlagern Personaldebatten und Machtfragen die Diskussion. Ein großer Teil der Bundestagsfraktion will in Kontinuität der letzten Jahre dem ISAF-Mandat weiterhin zustimmen. In der Abwägung bewerten die meisten – trotz harscher Kritik am Kurs der Bundesregierung – das ISAF-Mandat als wichtiger und die Zustimmung zum verbundenen Mandat als klares Zeichen für die Menschen in Afghanistan. Man dürfe diese “nicht alleine” lassen, eine Nicht-Zustimmung würde eine Abkehr von der bisherigen grünen Außenpolitik bedeuten.
Kleine Nebenbemerkung: Ich bitte an dieser Stelle ernsthaft darum, in den Kommentierungen auf Bemerkungen wie “die Grünen haben ihre Ideale verraten” abzusehen, man muss realistischerweise festhalten, dass die Kriegseinsätze durch die Beschlüsse von Rostock und Bielefeld, sowie durch Partei- und Wahlprogramme gedeckt sind, wenn auch die Entscheidungen damals zweifelsohne mit viel Blut, Schweiß und Tränen erkämpft wurden und möglicherweise anders abgelaufen wären, wenn die Parteitage damals vor den Entscheidungen im Bundestag stattgefunden hätten.
Ich meine, dass es der Partei am meisten dienen würde, wenn sich die Bundestagsfraktion bei der Abstimmung um das verbundene ISAF-Tornado-Mandat geschlossen enthalten würde. Mir geht es nicht primär um die Tornados, auch wenn man diese in die Abwägung mit einbeziehen muss. Aber Kritik am Kurs der Bundesregierung, Kritik an ISAF kann man doch nicht mit einem “Ja” deutlich machen. Das geht nicht in meinen Kopf hinein, es ist unlogisch, “Ja” zu etwas zu sagen, womit man nicht einverstanden ist.
Der Kompromiss des Bundesvorstandes – es schmerzt mich, dies hier publizieren zu müssen, aber wie ich schon oben schrieb, es haben sicherlich auch schon andere diese Kritik der Presse zugetragen – ist in meinen Augen ebenfalls eine Kontinuität. Man versucht es mit einem Formelkompromiss, wie schon so häufig zuvor. Auch wenn ich in großer Sorge bin, was geschieht, wenn die BDK einen eindeutigeren Beschluss fasst und sich die Hälfte der Bundestagsfraktion nicht an diesen hält, so konnte und kann ich einem solchen Formelkompromiss nicht zustimmen und kann auch nicht schweigen, wenn mich Menschen fragen, was ich von ihm halte.
Auf der BDK werde ich für den Änderungsantrag der GRÜNEN JUGEND streiten – dieser plädiert dafür, den Abgeordneten eine Enthaltung in der Frage des verbundenen Mandats zu empfehlen.
Änderungsantrag zu A-01
Ersetze Zeile 433 bis 436 durch:
„BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für einen verantwortungsvollen Umgang bei der Frage von Auslandseinsätzen. In dieser Tradition haben wir uns stets im Sinne der Menschen vor Ort für eine umfassende Friedens- und Sicherheitspolitik eingesetzt. Vor dem Hintergrund einer nüchternden Bilanzierung der höchst unzureichenden Bemühungen der Bundesregierung um einen echten Strategiewechsel beim Afghanistaneinsatz der Bundeswehr, sowie der bislang ausgebliebenen aber dringend notwendigen Neuausrichtung der internationalen Afghanistan-Politik, insbesondere in Hinblick auf die kontraproduktive Kriegführung unter der US-geführten Operation Enduring Freedom, sind wir in großer Sorge um den Erfolg des von uns befürworteten ISAF-Einsatzes der Bundeswehr. Es kann und darf keinen Automatismus Grüner Zustimmung zur Regierungspolitik und zu Auslandseinsätzen geben.
Da die Bundesregierung seit den letzten Mandatsverlängerungen keinerlei Anzeichen für ein ernstlichen Willen zu einem Strategiewechsel geliefert hat, können BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Antrag auf Verlängerung des ISAF-Mandates inklusive des ohnehin umstrittenen Tornadoeinsatzes nicht mehr uneingeschränkt zustimmen. Wir empfehlen unseren Bundestagsabgeordneten, dies bei ihrer Gewissensentscheidung über den Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu berücksichtigen und halten eine geschlossene Enthaltung bei der Mandatsverlängerung für ein sinnvolles und richtiges Vorgehen, um die grundsätzliche Zustimmung Grüner Politik zum UN-mandatierten ISAF-Mandat in der von uns geforderten Form deutlich zu machen und sich gleichzeitig nicht zum Spielball der Großen Koalition machen zu lassen, die einen Strategiewechsel kategorisch missachtet.“
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Verschlagwortet: sonder-bdk -
21. August 2007 | 5 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Kommenden Montag – am 27.8. – wird es eine Sondersitzung des Parteitrats geben. Auf der Tagesordnung steht die Sonder-BDK.
5 KommentareJetzt ist bei dem Thema auch eine Neuigkeit da: Die Große Koalition plant, ISAF- und Tornado-Mandat verbunden abzustimmen.
Einsortiert: die fraktion, krieg, parteitag
Verschlagwortet: isaf, sonder-bdk, tornado -
14. August 2007 | 11 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Eben auf heise gefunden.
Kern der Reformpläne ist eine Ausweitung des Zugriffs der Ermittler auf die Videoaufzeichnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und anderer privater Stellen. Dieser soll künftig 24 Stunden lang auch vorsorglich etwa zur Abwehr von Drogendelikten, Graffiti-Sprühereien oder andere Straftaten möglich sein. Darüber hinaus steht neben einer einfacheren Fahndung mit Gendaten eine Ausweitung der Handy-Überwachung auf der Agenda. So soll die Berliner Polizei künftig mit Hilfe des IMSI-Catchers auch zur Gefahrenabwehr Handys orten dürfen.
Mein geschätzter Kollege Benedikt Lux hat genau zu diesem Themenbereich der Jungen Welt ein Interview gegeben.
11 Kommentare
Was fordern die Grünen angesichts dieser Pläne?Wir befürchten, daß es einen Dammbruch gibt zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger. Wir sehen, daß alle Handynutzer und alle Teilnehmer an Großveranstaltungen, alle Fahrgäste im öffentlichen Verkehr unter Generalverdacht stehen. Und wir bemängeln, daß es keine wissenschaftlich fundierte Analyse gibt. Es gab mal eine in London, dort konnte nicht berechnet werden, wieviel Kriminalität damit verhindert wurde.
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10. August 2007 | 2 Kommentare | Trackback | Internet ausdrucken
Warum einen wirtschaftspolitischen Reader mit dem zweifelhaften Titel “Grüne Marktwirtschaft” (PDF) verfassen, wenn sich in der Themen-Navigation von gruene.de nicht einmal das Wort “Wirtschaft befindet?
Wo sollen die Leute denn da die Links zur wirtschaftspolitischen Kompetenz finden? Eben. Link-Kleinvieh macht auch Mist.
Ich glaube übrigens nicht, dass das eine politische Entscheidung war, um die marktkritischen Menschen in der grünen Partei und die marktkritischen, grün-nahen InteressentInnen nicht zu verschrecken. Sonst sind wir bei diesem Thema ja auch nicht so zimperlich.
Schlimm finde ich das jetzt übrigens nicht. Eher witzig. Wer sich ein bisschen auskennt, kann bei “Verbraucher” oder bei “Energie” klicken, da steht ja auch was zu Wirtschaft.
2 Kommentare
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